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Reaktorsicherheit
Darum ist der
Reaktor Tihange 2
trotz Sicherheitsbedenken am Netz
Reaktor Tihange 2
trotz Sicherheitsbedenken am Netz
Trotz tausender Risse im Reaktordruckbehälter ist der Reaktor 2 im belgischen Kernkraftwerk Tihange im Juni 2019 wieder angelaufen. Versagt der Druckbehälter, kann das kein Notfallprogramm stoppen. Wieso wurde er dann wieder hochgefahren?
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
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Ein wichtiges Reaktorbauteil weist Qualitätsmängel auf
Besonders im Fokus stehen die Reaktoren der Kernkraftwerke Doel und Tihange in Belgien. 2012 hatte man bei Untersuchungen bei Doel 17.000 und bei Tihange 3000 kleine Haarrisse im Reaktordruckbehälter gefunden. Der Aufschrei war groß, und die Diskussion ebbt auch nicht ab. Denn der Fund hat umfangreiche Untersuchungen nach sich gezogen. Das Ergebnis: Sie sind wahrscheinlich schon bei der Herstellung entstanden.
Wiederinbetriebnahme trotz Protesten
Trotzdem ist der Problemreaktor Tihange 2 im Juni 2019 wieder ans Netz gegangen und soll so noch drei Jahre durchhalten, bis er endgültig abgeschaltet wird.
Da man die Herkunft der Risse nicht kannte und der Reaktordruckbehälter eine der kritischsten Komponenten ist, haben viele Expert:innen und Bürgerinitiativen sofort Alarm geschlagen und eine sofortige Abschaltung gefordert. Der Betreiber und die Atombehörde haben anders entscheiden. Wie kann das sein und hat das sicherheitsgefährdende Folgen?
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Ursache weiter unklar – trotz wissenschaftlicher Untersuchungen
An die Bauteile werden die höchsten qualitativen Ansprüche gestellt, weil man sie während des Betriebes nur schwer oder bei manchen Teilen sogar gar nicht ersetzen oder reparieren kann. Zu den besonders kritischen Komponenten gehört etwa der Reaktordruckbehälter. Er muss sowohl extremen Temperaturen als auch extremen Druckbedingungen standhalten. Deshalb gelten für seine Herstellung auch hohe Ansprüche.
Je nach Art der Ursache besteht ein anderes Risiko
Gerade der Reaktordruckbehälter steht im Fokus der Diskussionen zu den Atomkraftwerken Tihange 2 und Doel 3 in Belgien, bei denen tausende kleine Haarrisse gefunden wurden. Fachlich spricht man von Wasserstoffflockenrissen, da sich Wasserstoff in das Material eingelagert hat. Bei einer Routineinspektion wurden die Risse 2012 mithilfe von Ultraschalluntersuchungen entdeckt. Das Problem: Sie waren vorher nicht dokumentiert.
Zwei Theorien sind denkbar:
- Die Risse sind herstellungsbedingt und waren schon zur Zulassung und Inbetriebnahme in den 1970ern vorhanden. Da sie bislang die Sicherheit der Anlage nicht gefährdet haben, werden sie wahrscheinlich auch weiterhin keine Relevanz haben.
- Die Risse sind während des Betriebs aufgetreten, sind zahlenmäßig angestiegen und das würde ein Versagen des Reaktors wahrscheinlicher machen.
Die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC (Föderalagentur für Nuklearkontrolle) hat anschließend umfangreiche Untersuchungen eingeleitet, um herauszufinden, welche Ursache die Risse haben. Ebenso hat man den Druckbehälter mehrfach mit Ultraschall untersucht. Währenddessen wurde er mehrfach vom Netz genommen und wieder hochgefahren. Für die Menschen aus der Umgebung ein ständiges Hin- und Her.
Bei den zusätzlichen Untersuchungen in Tihange 2 haben Prüfer:innen dann eine noch größere Zahl an Rissen gefunden. Sie könnten also in der Zwischenzeit entstanden sein. Die Erklärung der belgischen Atomaufsichtsbehörde sagt aber etwas anderes: Man habe den Druckbehälter zuletzt mit der bestmöglichen Methode untersucht und daher Risse gefunden, die man vorher nicht sehen konnte. Tatsächlich ist bekannt, dass bei der Methode selten dieselbe Anzahl an Rissen gefunden wird. Zusätzlich verbessern sich die Ultraschallgeräte und die Software laufend, die aus den Daten mögliche Risse errechnet.
Die Materialtests müssen sorgfältig interpretiert werden
Ebenso sollte das Material des Reaktordruckbehälters untersucht werden. Hier stehen Forschende aber vor einem Problem. Vom laufenden Druckbehälter lässt sich keine Probe entnehmen. Die Materialprüfinstitute waren also auf vergleichbare Proben angewiesen und haben daher Material eines Reaktordruckbehälters aus Frankreich bekommen, der aus dem gleichen Material besteht. Auch hier gab es jedoch zahlreiche Diskussionen, denn einige Proben wurden als Ausreißer qualifiziert und sind damit nicht in die Beurteilung eingegangen. Schnell kam der Vorwurf, die Ergebnisse seien mit Absicht so herbeigeführt worden.
Das Fazit der Untersuchungen lautet: Die wahrscheinlichste Ursache ist, dass alle Risse bereits seit der Herstellung vorliegen. Andere Hypothesen sind laut Untersuchungen nicht mehr plausibel, wirkliche alternative Hergänge gäbe es nicht.
Der Reaktordruckbehälter könnte die Schwachstelle sein
Die Dokumente über die Zulassung des Tihange-Reaktors liegen bei der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANC, sind jedoch nicht öffentlich einsehbar. Soweit es die FANC öffentlich gemacht hat, sind diese Mängel damals aber nicht festgestellt oder dokumentiert worden. Falls Risse dokumentiert sind, dann nur eine solche Anzahl, die man damals nicht als Sicherheitsrisiko einstufen musste.
Aber: Im heutigen Zustand hat der Reaktor so viele Risse, dass ihn die Atombehörden weder heute noch damals zulassen würden. Der Druckbehälter als besonders kritische Komponente darf nicht versagen, denn für ihn gibt es kein Notfallkonzept, um die Auswirkungen aufzufangen.
In Deutschland etwa zählt ein dreistufiges Sicherheitskonzept. Dabei steht die Herstellungsqualität an erster Stelle. Stände der Reaktor in Deutschland, müsste man ihn abschalten, da sich der Druckbehälter im Grunde nicht austauschen oder reparieren lässt.
Gleichzeitig wurde der Druckbehälter damals zugelassen und hat sich als recht zuverlässig erwiesen. Die belgische Atomaufsichtsbehörde sieht daher keinen Grund, die Zulassung erneut prüfen zu lassen.
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Und jetzt?
Es braucht eine konsequente Regelung
Trotzdem gibt es Kritik an der belgischen Haltung, die problembehafteten Reaktoren weiterlaufen zu lassen.
Das Problem: Es gibt für diese Entscheidungen keine bindende internationale Vereinbarung, obwohl die Folgen eines Reaktorunfalls auch die Nachbarländer betreffen können. Die Länder können das aber für sich entscheiden.
Die anderen Atomkraftwerke auf der Welt altern ebenfalls. Womöglich könnte die aktuelle Problematik in den kommenden Jahren genauso oder in veränderter Form noch öfter auftreten. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, international geltende Sicherheitsstandards festzusetzen, nach denen sich die Atomaufsichtsbehörden der unterschiedlichen Länder richten müssen. Denn im Falle eines Reaktorunfalls spielen Ländergrenzen keine Rolle.
Autor: Mathias Tertilt
Quellenangaben zum Artikel:
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Der Reaktor wird also von deutschen und belgischen Experten für sicher befunden. Nur von Quarks nicht. Denn es KÖNNTE.
Im Text ist erläutert, wie es um die Risse im Reaktordruckbehälter steht und warum dieser in Deutschland abgeschaltet werden müsste.
Im Artikel wird substanzlos und kontrafaktisch behauptet „Bei der Kernkraft, egal wo auf der Welt, hat die Sicherheit oberste Priorität.“ Dies ist de facto falsch. Es ist nur der hehre Anspruch, die offizielle Verlautbarung, denen es jedoch oftmals an einer Entsprechung in der harten Wirklichkeit mangelt. 1) Beispiel deutsche Atomkraftwerke:… Weiterlesen »
Okay, du meinst also, dass wirtschaftliche Beweggründe bei den von dir aufgezählten Beispielen dafür stehen, dass Sicherheit nicht immer für die Verantwortlichen die oberste Priorität darstellt? Das ist ein interessanter Einwand. Nur verzichte bitte beim nächsten Mal auf Herabwürdigungen wie „Desinformationspropaganda“. Wir verbreiten niemandes Propaganda. Und über den Inhalt des… Weiterlesen »
Es ist für mich unverständlich wie leichtfertig damit umgegangen wird. Wäre gesetzlich Schadensersatz für betroffene Nachbarländer verbindlich, würde man vorsichtiger sein. Man scheint einen GAU als Kavaliersdelikt an zu sehen. So ein Desaster passiert bei anderen Kraftwerksarten nicht. Warum man diese damals nicht forciert hat? Die Antwort: Spaltbares Material für… Weiterlesen »