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Tierwohl
Wie teuer müsste Fleisch aus artgerechter Haltung sein?
Wir interessieren uns immer mehr dafür, wie Masttiere leben. Aber was bedeutet artgerechte Haltung eigentlich – und wie viel kostet Tierwohl?
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Inhalt
- Was bedeuten Tierwohl und artgerechte Haltung eigentlich?
- Wie viel Platz und welches Umfeld sind artgerecht?
- Wie funktioniert artgerechtes Füttern?
- Wie viel Betreuung und medizinische Versorgung brauchen Tiere?
- Was sind artgerechter Transport und Schlachtung?
- Also: Wie viel müsste tierwohlgerechtes Fleisch eigentlich kosten?
- Gibt es Siegel für tierwohlgerechte Haltung?
- Wie machen es andere Länder?
- Und jetzt?
- Was bedeuten Tierwohl und artgerechte Haltung eigentlich?
- Wie viel Platz und welches Umfeld sind artgerecht?
- Wie funktioniert artgerechtes Füttern?
- Wie viel Betreuung und medizinische Versorgung brauchen Tiere?
- Was sind artgerechter Transport und Schlachtung?
- Also: Wie viel müsste tierwohlgerechtes Fleisch eigentlich kosten?
- Gibt es Siegel für tierwohlgerechte Haltung?
- Wie machen es andere Länder?
- Und jetzt?
Artikel Abschnitt: Was bedeuten Tierwohl und artgerechte Haltung eigentlich?
Was bedeuten Tierwohl und artgerechte Haltung eigentlich?
§ 1: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
§ 2: Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen und darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.
Das Tierschutzgesetz sagt es also sehr deutlich:
Tiere müssen so gehalten werden, dass man ihnen keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Mehr noch: Sie sollen artgerecht und angemessen leben können. Das ist für jeden erst einmal intuitiv verständlich, aber was bedeutet das eigentlich genau?
Um die Bedürfnisse von Tieren etwas nachvollziehbarer in Zahlen zu fassen, gibt es die, Achtung, Tierschutznutztierhaltungsverordnung. Sie gibt Landwirt:innen und Tierhalter:innen ein paar Kenngrößen dafür, welche Standards sie mindestens erfüllen müssen. Zum Beispiel wie viel Platz und Futter die Tiere benötigen, ob sie Gesellschaft oder Beschäftigung brauchen und wie lange und unter welchen Umständen man sie transportieren darf.
Die Verordnung versucht so zu regeln, was Tierwohl ausmacht. Aber bedeutet Tierwohl nur, dass die Tiere keine Schmerzen, Leiden oder Schäden erfahren? Sind sie dann auch zufrieden? Und wie stellt man überhaupt fest, ob es Tieren gut geht?
Diese Frage wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert
Denn sie ist komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheint. Klar ist, dass das Tier körperlich gesund sein muss. Es muss sich aber auch wohlfühlen – und dazu gehört, dass es sein natürliches Verhalten ausleben kann. Schweine sind zum Beispiel sehr neugierig und haben einen starken Drang, zu entdecken, zu wühlen und auf Material zu kauen. Geht das nicht, weil die Ställe zu schlicht gehalten sind, langweilen sie sich und werden aggressiv oder entwickeln Verhaltensstörungen.
Sehr häufig kauen sie zum Beispiel auf den Ringelschwänzen anderer Tiere herum, um sich zu beschäftigen. Die Folge: Die Tiere verletzen sich gegenseitig und werden noch aggressiver. Das Schwanzkauen gilt beispielhaft als ein starker Indikator dafür, dass die Tiere sich nicht wohlfühlen.
Eine häufige Lösung in der konventionellen Tierhaltung: Den Ferkeln wird das letzte Drittel der Ringelschwänze abgeschnitten, das nennt sich Kupieren. Oder ihnen werden die Zähne abgeschliffen – eher eine Behandlung des Symptoms als der Ursache. Diese Praxis ist häufig: Einer Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zufolge haben in Deutschland noch bis zu 95 Prozent aller Schweine kupierte Schwänze.
Ein Lösungsvorschlag: das staatliche Tierwohlkennzeichen
Tierwohl in der Tierhaltung interessiert immer mehr Menschen, nicht erst seit den Coronafällen in der Fleischindustrie. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat daher ein mehrstufiges Tierwohlkennzeichen entwickelt, an dem Hersteller sich freiwillig beteiligen können.
Sie können ihre Tierhaltung in drei Stufen einordnen, die mehr Tierwohl bieten sollen, als es die derzeitige Tierschutznutztierhaltungsverordnung vorschreibt. Eingeführt werden sollte das Label ursprünglich Mitte 2020. Zunächst soll es nur für Schweine gelten, weitere Kennzeichen für Geflügel und Rinder sollen aber folgen.
Verbände wie Greenpeace kritisieren das Label
Es übertrifft zwar die gesetzlichen Anforderungen, aber die Mindeststandards in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung sind aus Sicht von Greenpeace nicht ausreichend für eine einigermaßen artgerechte Haltung. Die Änderungen führten nicht weit genug in die richtige Richtung. Daher seien die Änderungen des Labels auch kein Garant für Tierwohl. Stimmt das?
Um das bewerten zu können, muss man erst einmal wissen, welche Bedürfnisse Tiere wirklich haben. Wir schauen uns die Kriterien einmal genauer an – am Beispiel von Schweinen.
Artikel Abschnitt: Wie viel Platz und welches Umfeld sind artgerecht?
Wie viel Platz und welches Umfeld sind artgerecht?
Zu wenig Abwechslung und Natur
Was die Verordnung nicht erwähnt oder vorschreibt: Auslauf für die Tiere und das Material, mit dem die Tiere sich beschäftigen sollen. Schweine sind entdeckungsfreudige und aktive Tiere. Sie wühlen sehr gern im Boden, erkunden Neues und kauen auf Ästen, Borke oder Stroh herum.
Dieses Verhalten können sie nicht ausleben, wenn die Haltung nicht mehr als die Mindeststandards erfüllt. Denn die Beschäftigungsmaterialien sind oft Ketten oder Plastikgegenstände, und mit Plastik oder Metall können die Tiere nicht so viel anfangen wie mit Stöcken oder Stroh. Die Folge ist oft, dass die Tiere aggressiv und gelangweilt werden und sich gegenseitig verletzen. In der freien Natur trennen Schweine außerdem den Platz zum Liegen und den Platz, wo sie ihre Fäkalien lassen. Man kann es sich denken: Auf 0,75 Quadratmetern pro Tier ist das nicht ganz so einfach.
Das Tierwohllabel verspricht: mehr Platz und mehr Beschäftigung
Das Tierwohlkennzeichen des BMEL möchte in drei Stufen über diese Mindeststandards hinausgehen:
- In Stufe eins haben Schweine zwischen 50 und 110 Kilogramm statt durchschnittlich 0,75 Quadratmetern 0,9 Quadratmeter zur Verfügung, in Stufe zwei 1,1 Quadratmeter. In Stufe drei soll jedes Tier 1,5 Quadratmeter zur Verfügung haben, von denen ein halber Quadratmeter Auslauf sein muss. In allen drei Stufen bekommen die Tiere organisches Material wie Stroh, das sie bearbeiten, zerwühlen und zerkauen können.
- Ferkel werden später von ihren Müttern getrennt: In Stufe eins haben sie 25 Tage miteinander, in Stufe zwei 28 Tage und in Stufe drei 35 Tage.
- Das Kupieren der Schwänze ist in den Stufen zwei und drei verboten, in Stufe eins soll zunächst alles andere unternommen werden, um das Kupieren zu vermeiden. Die Kastration ohne Betäubung ist in allen drei Stufen verboten.
Die europäische Verordnung für ökologische beziehungsweise biologische Haltung, die die Mindestkriterien für die Biohaltung vorgibt, geht ein paar Schritte weiter: Schweine müssen hier ständigen Auslauf haben, sofern die Witterung und die Gesundheitssituation es zulassen. Einzelhaltung ist verboten, außer im medizinischen Notfall. Über Beschäftigungsmaterial sagt die Verordnung nichts Explizites, nur dass die entwicklungsbedingten, physiologischen und ethologischen Bedürfnisse erfüllt werden müssen.
Andere Biostandards gehen noch weiter
Manche Bioverbände wie Bioland, Naturland und Demeter haben eigene Standards, die über das EU-Biosiegel hinausgehen. Naturland etwa sieht zwingend die Einstreu mit Stroh und einen Wühlbereich vor, das Kupieren der Schwänze ist komplett verboten. Die Ferkel dürfen bei Bioverbänden in der Regel länger bei ihren Müttern bleiben, meistens etwa 40 Tage.
Reicht das?
Die Faktoren Platz und Beschäftigungsmaterial sind beide wichtig für die Tiere, man kann sie nicht isoliert betrachten. Es genügt nicht, nur einen Faktor zu optimieren: Tiere, die eng gehalten werden, neigen zum Beispiel noch zum Schwanzkauen, auch wenn sie Stroh zur Beschäftigung haben. Um artgerecht zu halten, muss also beides vorhanden sein.
Dass Verstümmelungen nicht gut sind und Jungtiere möglichst lange bei ihren Müttern bleiben sollten, ist leicht nachvollziehbar. Aber beim Thema Auslauf treffen zum Beispiel unterschiedliche Wertesysteme für Tierwohl aufeinander: Zwar können frei laufende Tiere besser ihren Bedürfnissen nachkommen, sie verletzen sich aber eventuell öfter. Was ist nun wichtiger: die körperliche Unversehrtheit oder das erfüllte Bedürfnis?
Was bedeutet das in Geld?
Mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial bedeuten mehr Kosten, das ist klar. Einen konkreten Betrag dafür kann man allerdings nicht seriös nennen. Es hängt von vielen Faktoren ab: Wo liegt der Betrieb, geht es um mehr Stall oder mehr Freifläche, was ist schon vorhanden? Es kann auch sein, dass sich die Tiere durch die Beschäftigung weniger gegenseitig verletzen und so wieder Kosten für medizinische Versorgung wegfallen.
Artikel Abschnitt: Wie funktioniert artgerechtes Füttern?
Wie funktioniert artgerechtes Füttern?
Es ist etwa dasselbe, wie wenn wir Menschen Vollkorn oder Rohkost essen: Die Tiere müssen die Fasern gründlicher kauen und fressen daher das Raufutter langsamer als das energiedichte Breifutter. Die Folge: Das Futter wird langsamer verarbeitet, daher bleibt das Schwein länger satt. Das Raufutter befriedigt gleichzeitig sein Bedürfnis nach Erkunden und Zerbeißen, sodass es deutlich weniger aggressiv ist oder sich langweilt. Raufutter ist außerdem gesünder für die Tiere: Es vermindert Krankheiten wie Verstopfung oder Durchfall.
Bei bio ist Raufutter Pflicht
Das staatliche Tierwohlkennzeichen legt fest, dass die Tiere in allen Stufen organisches Raufutter bekommen müssen. Allerdings muss es nicht vom organischen Beschäftigungsmaterial getrennt werden. Auch für biologische Tierhaltung ist im europäischen Recht vorgeschrieben, dass die Tiere einmal täglich eine Portion Raufutter bekommen.
Bioverbände setzen ebenfalls auf Raufutter. Schweine, die Auslauf haben, wie bei Biohöfen üblich, können so ihren Bedarf an Raufutter decken. Nahrungsergänzungsmittel sind verboten.
Reicht das?
Raufutter ist wichtig für die Tiere. Wichtig ist allerdings auch, dass Futter und Beschäftigungsmaterial wie Bodenstroh getrennt werden. Liegen die Tiere beispielsweise auf dem Stroh, kann es schnell verdrecken. Dann ist es nicht mehr als hygienisches Futter geeignet. Das ist nicht in allen Richtlinien erwähnt.
Was bedeutet das in Geld?
Das ökonomische Problem für die Landwirtinnen: Die Raunahrung enthält nicht so viel Energie, die Tiere brauchen also mehr davon als von energiedichtem Kraftfutter. Auch erreichen sie ihr Schlachtgewicht langsamer, müssen also länger gehalten werden. Außerdem bleiben leicht Futterreste zurück. Die muss man regelmäßig entfernen, damit sie nicht verderben. Die Folge: eventuell höhere Kosten für Personal.
Artikel Abschnitt: Wie viel Betreuung und medizinische Versorgung brauchen Tiere?
Wie viel Betreuung und medizinische Versorgung brauchen Tiere?
Wenig Antibiotika: nur bei bio ein Kriterium
Vorgeschrieben aber ist, dass mindestens einmal täglich jemand die Tiere begutachtet und schaut, ob es ihnen gut geht. Das Personal muss besonders darauf achten, ob Tiere aggressiv sind oder sich gegenseitig verletzen. Tierärzt:innen und Personal müssen auf die Gesundheit der Tiere achten. Biohöfe setzen auf den Verzicht von Antibiotika, solange es geht. Heißt: Präventiv dürfen Biotiere keine Antibiotika bekommen – wenn sie krank sind, aber schon.
Das Tierwohlkennzeichen des BMEL schreibt ab Stufe eins regelmäßige Tierschutzfortbildungen der Mitarbeiter:innen vor. Die Betriebe müssen ihre Standards regelmäßig selbst kontrollieren und dokumentieren. Der Antibiotika-Einsatz wird in den Kriterien des Tierwohllabels nicht erwähnt.
Was bedeutet das in Geld?
Bei den Personalkosten spielen einige der genannten Faktoren wie Platz und Futter eine Rolle. Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft hat 2005 geschätzt, dass eine Arbeitskraft 12,8 Minuten Zeit pro Mastplatz und Jahr mehr braucht, wenn die Betriebe Raufutter verwenden. Das klingt erst mal nicht viel, bei einem großen Bestand ist es aber durchaus ein Kostenfaktor. Personalkosten schwanken erheblich zwischen Regionen und Betrieben, sie sind daher schwer einzuschätzen.
Tiere verletzen sich häufiger gegenseitig in dicht gehaltenen Beständen mit wenigen Beschäftigungsmöglichkeiten. Von diesem Standpunkt aus kann eine artgerechtere Tierhaltung also sogar Arbeit ersparen: Sind die Tiere weniger dicht, kommen weniger Aggressionen oder andere Fälle vor, in denen man eingreifen muss.
Das trifft auch auf den Gesundheitszustand zu: Schweine in artgerechterer Haltung stecken nicht so schnell andere Tiere an, weil sie sich besser aus dem Weg gehen können. Daher werden weniger Medikamente verabreicht, die auch unser Grundwasser weniger belasten. Andererseits kommen die Schweine bei Freigang eventuell auch mit anderen Erregern in Kontakt als bei der Stallhaltung oder verletzen sich.
Artikel Abschnitt: Was sind artgerechter Transport und Schlachtung?
Was sind artgerechter Transport und Schlachtung?
Die Europäische Bioverordnung wird auch nicht konkreter, sagt aber, dass die Transportwege möglichst kurz gehalten werden und das Tierwohl erhalten bleiben sollen. Beim Schlachten soll das Leiden möglichst gering gehalten werden.
Tierwohllabel: kein Transport länger als acht Stunden
Das will das staatliche Tierwohlkennzeichen für alle Stufen festlegen. Dauert die Fahrt länger als vier Stunden, müssen die Tiere mit Einstreu und Tränken versorgt werden. Außerdem schreibt das Label für alle drei Stufen einige grundlegende Dinge für die Schlachtung vor: Die Tiere, die noch nicht entladen sind, müssen vor Kälte und Hitze geschützt werden.
Es sind Angaben für den Wartestall enthalten: Wie viel Fläche und wie viele Tränken pro Tier sind nötig, wie lange sind die Wartezeiten maximal? Auch zu den Betäubungsmethoden wie Elektro- oder Kohlendioxidbetäubung macht das Label genauere Angaben, die das Leiden der Tiere verringern sollen.
Biorichtlinien verkürzen den Transport
Richtlinien von Bioverbänden gehen noch ein Stück weiter. Biotiere dürfen nur vier Stunden oder 200 Kilometer am Stück transportiert werden. Dabei ist allerdings die Zeit zum Ein- und Ausladen ausgenommen. Zusätzlich verbieten sie elektrische Triebhilfen und empfehlen eine Beruhigungsphase nach dem Transport. Die Tiere dürfen nicht mit Medikamenten ruhiggestellt werden und sie müssen unterwegs auf jeden Fall eine Einstreu bekommen.
Was bedeutet das in Geld?
Wenn längere Transporte nicht mehr erlaubt sind, müssen sich einige Betriebe eventuell umstellen und regionalere Schlachthöfe ansteuern. Auch Einstreu, Klimatisierung und Nahrung sind Kostenfaktoren.
Artikel Abschnitt: Also: Wie viel müsste tierwohlgerechtes Fleisch eigentlich kosten?
Also: Wie viel müsste tierwohlgerechtes Fleisch eigentlich kosten?
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung und der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des BMEL haben die Kosten für artgerechtere Haltung auf jährlich zwischen 2,9 und 4,6 Milliarden Euro geschätzt. Der wissenschaftliche Beirat hat die zu erwartenden Kosten 2015 etwas weiter aufgeschlüsselt:
- Für Schweine geht er von einer Kostensteigerung von etwa 26 Prozent für die Aufstockung der Bedingungen auf die Premiumstufe des Tierschutzlabels des Deutschen Tierschutzbundes aus.
- Für den Verzicht auf das Kupieren der Schwänze wären etwa 7,4 Prozent höhere Kosten zu erwarten.
- Für das zusätzliche organische Beschäftigungsmaterial etwa 1,1 Prozent höhere Kosten.
Insgesamt kommt der Beirat für Schweine auf etwa 34 Prozent höhere Kosten. Umgerechnet sind das etwa 2,3 Milliarden Euro pro Jahr.
Für Masthühner sind es 15,4 Prozent höhere Kosten, das entspricht etwa 215 Millionen Euro pro Jahr. Für Mastrinder legten sie dieselben Schätzungen an wie für Schweine, das entspricht Kosten von etwa 900 Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt kommen die Expert:innen so auf Mehrkosten von etwa 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind etwa 45 Euro pro Bürger:in und Jahr – klingt gar nicht so viel. Aber wie könnte es umgelegt werden?
Tierwohlabgabe für tierfreundliche Projekte
Einige Expertengruppen haben versucht auszurechnen, wie teuer artgerecht erzeugtes Fleisch sein müsste, um die Kosten zu decken. Eine davon ist das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FOES). Die Wissenschaftler:innen haben verschiedene Szenarien durchgespielt, unter anderem eine Tierwohlabgabe.
Die Idee wäre, dass wir Verbraucher:innen die Abgabe beim Einkauf pro Kilogramm Fleisch bezahlen. Alternativ könnte sie beim Schlachthof erhoben werden. Dieses Geld könnte dann in einen Fonds fließen, mit dem man dann Tierwohlprojekte in Betrieben direkt fördern könnte. Das könnte Landwirt:innen sehr helfen, die gern mehr fürs Tierwohl tun würden, sich dies aber bisher wirtschaftlich nicht leisten können. Die Abgabe würde also direkt für das Tierwohl wieder ausgegeben.
Ehrlich gesagt: So viel mehr wäre es nicht
Die Wissenschaftler:innen kommen zu dem Schluss, dass es einen sehr guten Effekt für das Tierwohl hätte, wenn wir pro Kilogramm Schweinefleisch zwischen 44 und 66 Cent mehr bezahlen würden. Für Rindfleisch läge die Abgabe mit 59 bis 88 Cent pro Kilogramm leicht darüber, für Geflügel mit 7 bis 18 Cent pro Kilogramm noch erheblich niedriger.
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, in dem landwirtschaftliche Verbände, der Ökolandbau, Wissenschaftler:innen, Ländervertreter:innen, Tierärzt:innen und Verbraucherschützer:innen vertreten sind, hat sich ebenfalls Gedanken zu Tierwohl und Kosten gemacht. Um die angenommenen Kosten auf die Bürger:innen zu verteilen, schlägt das Netzwerk eine Tierwohlabgabe vor, ähnlich wie der FOES. Diese könnte zum Beispiel 40 Cent pro Kilogramm Fleisch betragen. Für Milch, Milchprodukte und Eier wären 2 Cent pro Kilogramm fällig, für Käse und Butter 15 Cent pro Kilogramm.
Wichtig hierbei: Bioprodukte nicht noch teurer machen
Die Abgabe soll sich nach der Menge richten, nicht nach dem Preis und der Haltungsform. Sonst würde sie ohnehin schon teurere Bioprodukte noch deutlich teurer machen als günstige. Denkbar wäre auch, die Abgabe für tierwohlfreundlichere Produkte zu verringern oder gar nicht zu erheben.
Einschätzung der Landwirtschaft
Auch die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) hat die Preise für Schweinefleisch in den geplanten drei Stufen des Tierwohlkennzeichens abgeschätzt. Sie kommt bei konventioneller Tierhaltung auf einen Durchschnittspreis von 15 Euro für ein Kilogramm Schweineschnitzel. Bei Stufe eins des Tierwohllabels stiege dieser Preis auf 16,65 Euro pro Kilogramm, bei Stufe zwei auf 19,35 Euro und bei Stufe drei auf 20,55 Euro.
Was bedeutet das?
Bei derzeitigen Preisen von durchschnittlich etwa 9 Euro für ein Kilogramm Hähnchenbrust, etwa 15 Euro für ein Kilogramm Schweineschnitzel und etwa 11 Euro für ein Kilogramm Rinderbraten klingen diese Aufschläge zunächst durchaus umsetzbar. Biofleisch ist heute aber deutlich teurer und kostet oft ein Vielfaches von Nichtbiofleisch. Wieso ist das so?
Eigentlich müsste Biofleisch gar nicht so viel teurer sein: Biolandwirt:innen erlösen pro Kilogramm Fleisch realistisch nur etwa zwei Euro mehr. Das Problem: Der Preis bezieht sich auf das ganze Tier. Und bestimmte Teile – zum Beispiel Schweinefüße – werden in Deutschland so gut wie gar nicht nachgefragt, und erst recht nicht in Bioqualität.
Daher müssen sie mit den konventionell erzeugten Produkten zusammen zu den herkömmlichen Preisen verkauft werden. Also legen sich die hohen Kosten für die Biohaltung auf einzelne besser absetzbare Teile wie Schnitzel um. Daher ist Biofleisch bisher oft überproportional teuer. Auch hier könnte eine generelle Tierwohlabgabe helfen.
Artikel Abschnitt: Gibt es Siegel für tierwohlgerechte Haltung?
Gibt es Siegel für tierwohlgerechte Haltung?
Das präsenteste ist seit seiner Einführung 2019 wohl das Haltungsform-Label für Schweine, Rind und Geflügel, das in vielen Supermärkten auftaucht. Es ordnet die Herkunft des Fleisches von Stufe eins (Stallhaltung) über Stufe zwei (Stallhaltung plus) und Stufe drei (Außenklima) bis Stufe vier (Premium) ein.
Auf Dauer soll das staatliche Tierwohlkennzeichen es ablösen. Das Label Haltungsform ist von der Industriebewegung “Initiative Tierwohl“ mitentwickelt worden, die 2015 angestoßen wurde. Diese Initiative besteht aus Landwirt:innen, Einzelhändler:innen und Verarbeiter:innen. Das Label ist auf Geflügel- und Schweinefleisch von teilnehmenden Betrieben zu finden.
Der Deutsche Tierschutzbund hat das Label “Für mehr Tierschutz“ entwickelt. Es gilt für Masthühner, Legehennen, Mastschweine und Milchkühe. In der Einstiegs- und der Premiumstufe verpflichten sich Landwirt:innen zu mehr Platz und mehr Tierwohl.
Artikel Abschnitt: Wie machen es andere Länder?
Wie machen es andere Länder?
Staatliches Herzchensiegel in Dänemark
Seit 2017 gibt es in Dänemark ein freiwilliges staatliches Tierwohlsiegel für Schweine, das “Bedre Dyrevelfærd“-Label. In drei Stufen – gekennzeichnet mit einem, zwei oder drei Herzen – weist es Fleisch aus, das aus Haltungsformen stammt, die gegenüber dem Gesetz verbessert sind. Die Stufen sind den deutschen gar nicht unähnlich, sie verbieten aber beispielsweise ab Stufe eins das Kupieren der Schwänze. 2018 wurde das Siegel auf Hühnerfleisch ausgeweitet. Die Resonanz war zunächst sehr positiv, nach etwa zwei Jahren ist die Nachfrage nach Fleisch aus verbesserter Haltung aber zurückgegangen.
Besseres Leben in den Niederlanden
In den Niederlanden gibt es das NGO-Siegel “Beter Leven“. Es startete 2007 mit Geflügel und wurde 2010 auf Schweine ausgeweitet. In Stufen von einem bis drei Sternen werden die Tierwohlgrade eingestuft. Die höchste Stufe ist der Biohaltung gleichgestellt. Das System wird in den Niederlanden gut angenommen und ist im Einzelhandel recht präsent.
Mehr Tierschutz in der Schweiz, aber mit Einschränkungen
Das Schweizer Tierschutzgesetz ist an sich schon strenger als das deutsche. Beispielsweise dürfen die Landwirt:innen Schweine- und Rinderschwänze oder Geflügelschnäbel nicht beschneiden. Für Schweine ist vorgeschrieben, dass sie sich jederzeit mit Stroh, Raufutter oder Ähnlichem beschäftigen können. Sie müssen in Gruppen gehalten werden. Tiertransporte über acht Stunden ohne Pausen sind verboten. Schweine haben auch mehr Platz zur Verfügung: Tiere von 85 bis 110 Kilogramm Gewicht müssen 0,9 Quadratmeter Fläche für sich haben – in Deutschland sind es 0,75 Quadratmeter.
Darüber hinaus gibt es noch die freiwilligen Programme BTS (Besonders Tierfreundliche Stallhaltungssysteme) und RAUS (Regelmäßiger Auslauf im Freien). Tierschutzverbände kritisieren die Label aber: Bei BTS ist kein höherer Platzanspruch der Tiere festgeschrieben, der Unterschied zu den gesetzlichen Standards ist eher klein. Die RAUS-Kriterien erfordern zwar mehr Fläche pro Tier und Auslauf, aber dennoch kann der Platz in den Außenbereichen sehr beengt sein.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Die Menschen sind sich also grundsätzlich bewusst, dass ein Problem besteht, und sind auch bereit, etwas dagegen zu tun – in der Theorie. Aber an der Ladentheke machen wir diese guten Vorsätze nicht wahr: Der Marktanteil von Biofleisch ist mit ein bis zwei Prozent ziemlich gering. Warum ist das so?
Einstellung versus Handeln
Dieser Widerspruch zwischen Einstellung und Handeln nennt sich die Konsumenten-Bürger-Lücke. Gründe dafür gibt es viele: Wer für eine Umfrage interviewt wird, bezieht sich in seiner Antwort in erster Linie auf seine Einstellung, nicht auf sein Verhalten. Oft geben Menschen auch dem Zeitgeist entsprechende oder gesellschaftlich erwünschte Antworten: Heutzutage würde zum Beispiel auch kaum jemand zugeben, dass er Frauen das Wahlrecht lieber wieder entziehen würde. Auch sind sich viele ihrer eigenen Wirkmacht nicht bewusst: Man denkt, dass das eigene Verhalten keinen großen Unterschied macht, weder positiv noch negativ. Daher ändert man es erst gar nicht.
Gerade beim Thema Fleisch neigen wir auch zur Verdrängung – was besonders gut bei Produkten funktioniert, die gar nicht mehr auf den ersten Blick als vom Tier stammend erkennbar sind. Und höherwertige Produkte sind eben teurer, sodass man sie sich unter Umständen nicht leisten kann oder möchte.
Dazu kommt, dass Menschen, denen Tierwohl wichtig ist, ohnehin wenig oder kein Fleisch kaufen. Diejenigen, die sich nicht für Tierwohl interessieren, essen dagegen tendenziell viel Fleisch, und dann auch eher das billige Produkt. Daher beeinflussen die Vielfleischesser:innen die Statistiken zum Fleischkonsum viel stärker, als in Umfragen deutlich wird.
Und Fakt ist auch: Die bisher gängigen Label sind verwirrend
Und teilweise nicht ganz eindeutig. Viele trauen ihnen nicht. “Tierwohl“ und “artgerecht“ sind eben keine geschützten Begriffe. Bei Fleisch ist die Lage ohnehin kompliziert: Ob eine Haltungsform tierwohlgerecht ist, hängt von vielen Faktoren ab, sodass es nicht ganz einfach ist, sie in einem Label darzustellen. Und es gibt sie noch nicht für alle Tierarten. All das trägt dazu bei, dass man sich schwerer tut, wirklich tierwohlgerecht produziertes Fleisch zu erkennen – sofern es das überhaupt geben kann.
Es liegt an uns
Im Endeffekt entscheiden wir alle an der Kasse, wie es mit dem Tierwohl weitergeht. Die Politik kann Anreize geben und Regeln schaffen. Mehr rechtliche Verbindlichkeit wäre hier sicherlich schön, aber das ist nur ein Teil der Realität. Solange wir das billig produzierte Fleisch kaufen, werden die Betriebe weiter billig und wenig auf Tierwohl bedacht produzieren, um konkurrenzfähig bleiben zu können. Viele Landwirt:innen würden gern mehr für den Tierschutz tun, können es wirtschaftlich aber nicht, weil die Nachfrage nicht da ist.
Wenn weniger konventionelles Fleisch gekauft wird, werden die Betriebe ihre billigen Produkte nicht mehr so gut los und haben einen weiteren Grund, auf mehr Tierwohl zu setzen. Ein Beispiel, bei dem das Prinzip schon recht gut funktioniert, sind Eier: Es gibt eine vorgeschriebene Haltungskennzeichnung und immer mehr Menschen achten beim Einkauf darauf: 2019 waren 30 Prozent der gehandelten Eier aus Freiland- oder Biohaltung, Tendenz steigend. Bei allen Mängeln der Tierhaltung ist das ein positiver und deutlicher Trend. Vielleicht wird dies in der Zukunft auch für Fleisch möglich sein.
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Quellenangaben zum Artikel:
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Artikel Überschrift:
Fleisch sollte unbezahlbar werden! Schlachthöfe gehören abgeschafft!!!
und in der ganzen Debatte fragt niemand den Kunden (Fleischesser) ob er das bezahlen kann/möchte
Den Preis macht der Markt und nicht der Sozialist
Mich stört an diesem Artikel, dass die Quellen der Preise nicht geprüft wurden. Der LEH Preis für 1 kg Schweinefleisch liegt bei Discountern (Konventionelle Tierhaltung meist) zwischen 6-9 €. Ihr habt mit dem angeblichen Preis von 15 € pro kg gerechnet, welcher laut (MeinMetzger.de) viel zu hoch angegeben wird oder… Weiterlesen »
Natürlich haben wir die Preise geprüft. Die Angaben für Schweinefleisch kommen aus dieser Quelle (auch unten verlinkt): https://www.dlg.org/fileadmin/downloads/landwirtschaft/themen/publikationen/kompakt/DLGKompakt_01_19-Schweinehaltung_in_Deutschland.pdf
Oooooder man klärt die Leute systematisch (Schule, Präsenz in ARD/ZDF, öffentliche Kampagnen) auf und zeigt mithilfe von Bildern allgegenwärtig, wie es in den Betrieben aussieht; dann wird sich das mit dem Tiernahrungsmittel-Konsum von alleine legen.
Warum muss es immer eine Steuer sein? Oder hier als „Abgabe“ umschrieben. Steuern sind schon per Definition nicht zweckgebunden. Dürfen sie gar nicht. Eine Steuer dann in einen Fond fließen zu lassen oder direkt an die Bauern wäre rechtswidrig und nicht möglich. Die Steuer würde also in den allgemeinen Haushalt… Weiterlesen »
Schöne Polemik. Nur weil ein Arbeiterchen also nichts vernünftiges gelernt hat, sollen also Tiere unter ihm leiden? Nö, so läuft es nicht. Dann muss er halt was vernünftiges lernen oder Gras futtern.
An Ihnen scheint die Erkenntnis vorbei gegangen zu sein, dass sich die sozioökonomische Struktur in der BRD reproduziert. D.h. ein Aufstieg ist nur sehr schwer möglich. Sie machen es sich leider zu einfach.
Es würden sich bestimmt viele Menschen dazu bereit erklären mehr Geld für Fleisch und Geflügel zu bezahlen, aber viele Menschen haben nicht die Möglichkeit mehr zu bezahlen weil sie dafür viel zu wenig verdienen. Wenn man sich anschaut wieviele Menschen leider immernoch zum Mindestlohn (der immer noch eine farce ist)… Weiterlesen »
Ich bin auch eine „arme Arbeiterin“. Als Alleinerziehende mit einem Kind hab ich keine 2000 Netto Haushaltseinkommen. Trotzdem kaufe ich Biorindfleisch für 30€/kg. Man muss ja nicht jeden Tag Entrecôte essen. Ein Gemüseeintopf mit Rind schmeckt auch super.