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Quarks Daily Spezial
Mogelpackung "klimaneutral“?
Mit dem Etikett der Klimaneutralität wird jedes Produkt zum Verkaufsschlager. Es verbindet Konsum mit gutem Gewissen, aber ist das wirklich berechtigt? Was steckt hinter diesem Siegel und wie sehr sollte man beim Einkauf darauf setzen?
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Was heißt "klimaneutral“?
Klimaneutrale Feuchttücher, Wimperntusche, Schreibblöcke, Kalklöser – ja selbst klimafreundliches Tanken scheint möglich, glaubt man den Werbeversprechen der Unternehmen. Aber was steckt dahinter? Klimaneutral heißt ja erst mal nur, dass ein Gleichgewicht herrscht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme oder Einsparung von Kohlenstoff. Wie genau aber dieses Gleichgewicht hergestellt wird und ob dafür Emissionen eingespart oder nur ausgeglichen werden, sagt der Begriff nicht.
Unterlassungsklagen wegen Irreführung
Die Wettbewerbszentrale – eine Selbstkontrollinstitution der deutschen Wirtschaft zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb - hält ausgesprochen wenig von diesem Begriff. Durch Aussagen wie "100 Prozent klimaneutrale Produktion“, "wir handeln klimaneutral“ oder "klimaneutrales Produkt“ werde der Eindruck erweckt, dass die Klimaneutralität zu 100 Prozent durch emissionsvermeidende oder emissionsreduzierende Maßnahmen bewirkt worden sei. In den von der Wettbewerbszentrale beanstandeten Fällen aber war die "Klimaneutralität“ nur ein rechnerisches Ergebnis, das durch den Kauf von CO2-Ausgleichszertifikaten erreicht wurde.
Kompensation nur auf dem Papier
Während die reine Berechnung der CO2-Emissionen von Unternehmen und auch von Produkten mehr oder weniger festgelegt ist, weil die meisten hier einem internationalen Standard folgen, gibt es für die Klimaneutralität noch keine verbindliche Berechnungsgrundlage. Einzelne Initiativen sind gerade dabei, wissenschaftlich fundierte Vorgaben für die Bilanzierung zu etablieren, die zum Beispiel auch die vorgelagerten Emissionen aus der Lieferkette miteinbeziehen.
Haben wir genug Bäume?
Viele Kompensationsprojekte setzen auf Baumpflanzungen. Aber wie realistisch ist es, dass aus einem kleinen Setzling auch eine wirksame Kohlenstoffsenke wird? Das kann regional sehr unterschiedlich sein. Auch wenn Bäume ein großes Potenzial bergen, lohnt es sich, auch hier genauer hinzusehen oder zumindest zu realisieren, dass auch das vielversprechendste Baumpflanzungsprojekt eine Investition in die Zukunft ist. Für Emissionen, die schon heute entstehen. Hinzu kommt, dass viele Wälder bereits durch die Klimakrise geschwächt sind. Insbesondere die Wälder Europas, die durch den Wassermangel der letzten Jahre deutlich anfälliger wurden für Parasiten und bereits große Verluste erfahren haben. Auf der Südhalbkugel sind Extremwetter bereits zur neuen Normalität geworden und könnten ebenfalls Pflanzprojekte gefährden.
Wenig Transparenz und keine Kontrolle
Ob Baumpflanzungen in der Wüste, Paranuss-Anbau in Peru oder Kochöfen in Ghana – häufig scheinen die Kompensationsprojekte direkt mehrere Vorteile zu haben, weil sie neben einer möglichen Kohlenstoffsenke oder der effizienten Reduktion von Klimagasen auch soziale, gesundheitliche oder wirtschaftliche Vorteile für die jeweilige Region im Globalen Süden bergen. Und einzelne Zertifizierungen garantieren auch zumindest den Ausschluss umweltschädlicher Projekte oder erfordern, dass die Einkommen der lokalen Bevölkerung steigen. Grundsätzlich aber leiden viele Projekte unter Intransparenz, oder man kann nicht ausschließen, dass die Kompensation etwa Autokratien finanziert.
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Darum kommen die Hersteller zu billig weg
Aber auch bei Projekten mit mehr Transparenz sind die CO2-Preise pro eingesparter Tonne laut Umweltbundesamt (UBA) zu niedrig, um die tatsächlichen Umweltfolgekosten einer Tonne CO2 auszugleichen. Matthias Kalkuhl ist Professor für Klimawandel und Wirtschaftswachstum und pocht auf die sogenannte "Kostenwahrheit“ bei der CO2-Bepreisung. Der Preis müsse die Schäden widerspiegeln, die eine Tonne CO2 in der Atmosphäre anrichten kann. Schäden wie Ernteausfälle, Zerstörung der Infrastruktur, aber auch Gesundheitskosten. Das UBA empfiehlt vor diesem Hintergrund einen Preis von etwa 200 Euro, die realen Preise aber bilden nur einen Bruchteil dessen ab.
Moderner Ablasshandel im Globalen Süden
Hinzu kommt: Obwohl Unternehmen wesentlich mehr klimaschädliche Gase verursachen, zahlen sie ab einem bestimmten Volumen bei den meisten Anbietern von Kompensationszertifikaten sogar noch weniger. Ein Effekt, der insbesondere durch den Wettbewerb zwischen den Anbietern zustande kommt und dazu führt, dass die produzierenden Unternehmen sich mit einer Art Ablasshandel im Globalen Süden viel zu günstig freikaufen.
Das Märchen vom grünen Konsumwunder
Bis es verbindliche Standards gibt, rät zumindest Eva Rechsteiner vom Institut für Energie und Umweltforschung in Heidelberg dazu, die Erwartungen nicht allzu hoch zu schrauben: "Ich würde als Konsumentin nicht auf den Begriff klimaneutral achten, solange dieser nicht von einer unabhängigen Institution geprüft wird.“ Sie hält das aktuelle Modell zur Klimaneutralität für Augenwischerei: "Dass wir weiterhin so konsumieren können wie bisher, ist ein grünes Märchen“, so die Wissenschaftlerin. Trotzdem hält sie seriöse Kompensationsprojekte für unabdingbar.
So lebst du wirklich klimafreundlich
Aus ihrer Sicht müsse es beim Konsum unbedingt mehr auf Reparatur, Leihen oder Teilen hinauslaufen. Auch wenn "klimaneutral“ auf den Babytüchern, dem Kalklöser oder gar auf der Tankquittung steht, ist es eben nicht egal, wie viel wir davon konsumieren. Viel sinnvoller ist es, sich die Frage zu stellen, was man tun kann, um gar nicht erst so viel CO2 zu verursachen. Auch wenn diesen Einsparpotenzialen Einzelner klare Grenzen gesetzt sind, weil für alle Bürger:innen in Deutschland – ob sie wollen oder nicht – für Strom, Transport und Wärme noch immer zu viele fossile Brennstoffe herhalten müssen.
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Das Wichtigste bleibt, auf Konsum zu verzichten wo es geht. Und bei Konsum die direkten Auswirkungen mitzudenken, ohne Kompensationsmaßnahmen.
Aber davon abgesehen: gibt es denn empfehlenswerte Organisationen, die Ausgleichsmaßnahmen bewerten?
….und weniger bei Amazon bestellen. Das hilft!
Greenwashing ist der neue mega trend und er wird den Brand noch beschleunigen. Nachhaltigkeit ist zum absoluten Bullshit-Wort verkommen. Leider!