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Klimaschutz
Wie sinnvoll ist die freiwillige CO2-Kompensation?
Langstreckenflug, Bulli-Trip: Wir können klimaschädliche Emissionen durch CO2-Zertifikate aus Klimaschutzprojekten ausgleichen. Wann ist das sinnvoll – und wann nicht?
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Klimaschutzorganisationen versprechen Klimaneutralität
Die Idee der freiwilligen CO2-Kompensation
Die Idee: Privatpersonen und Unternehmen können ihren eigenen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen ausgleichen, indem sie CO2-Zertifikate aus Klimaschutzprojekten kaufen. Solche Projekte fördern beispielsweise den Ausbau von Solarstrom, Biogasanlagen und Wasserkraft. Und reduzieren so Treibhausgase aus fossilen Energieträgern oder binden diese dauerhaft.
Das Prinzip: Jedes Zertifikat entspricht einer Tonne klimaschädlicher Emissionen, die in einem Projekt nicht entstehen. Dazu ist es unerheblich, wo dieser Ausgleich stattfindet. Der Grund: Treibhausgase verteilen sich in der Atmosphäre und verbleiben nicht am Ort ihrer Entstehung.
Genug Zertifikate, zack, klimaneutral
Hat man genug Zertifikate gekauft, um alle entstandenen Emissionen auszugleichen, darf man sich klimaneutral nennen. Mit sogenannten CO2-Rechnern lässt sich berechnen, wie viel man überhaupt ausgleichen muss. Dabei werden alle klimaschädlichen Gase berücksichtigt, die sich aber unterschiedlich stark auf das Klima auswirken. Um deren Wirksamkeit zu vereinheitlichen, wird die Bilanz in CO2-Äquivalenten (CO2e) angegeben.
Wer seine Emissionen durch Klimaschutzprojekte kompensiert, fördert damit also zum Beispiel die Verbreitung von Solarkochern in Bolivien und unterstützt saubere Energie unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Klingt erstmal wie eine rundum gute Sache.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Es gibt viele Gründe, das System infrage zu stellen
1. Kompensation regt nicht dazu an, Emissionen zu vermeiden
Denn Klimaneutralität per Knopfdruck geht schnell, ist praktisch und suggeriert: Klimaschädliches Verhalten ist okay, solange ich kompensiere – dabei müssten wir ja eigentlich versuchen, Emissionen gar nicht erst zu produzieren. Um im Bild zu bleiben: "Klimasünden" sind okay, solange man dafür bezahlt.
Das Motto sollte stattdessen sein:
Vermeiden, reduzieren und erst dann kompensieren
Wer kompensieren will, sollte sich fragen:
- Ist die Kompensation wirklich meine einzige Option?
- Wie kann ich meine Emissionen vorher vermeiden und reduzieren?
- Bin ich bereit, mein Verhalten zu verändern, um weniger klimaschädliche Gase zu verursachen?
Hier liest du, wie du selbst CO2 einsparen kannst.
Seriöse Organisationen weisen ihre Kundinnen und Kunden darauf hin, sich diesen Fragen zu stellen. Denn: "Kompensation ist keinesfalls die Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels. Das Vermeiden und Reduzieren muss unbedingt im Fokus stehen", erklärt Klimapolitikexperte Denis Machnik vom Berliner Thinktank adelphi. Nur: Es gibt seitens der Klimaschutzorganisationen keine Standardverfahren, die das überprüfen. Sie setzen auf Vertrauen.
2. Die Kompensation motiviert Unternehmen und Verbraucher:innen zum "Greenwashing"
Heißt: Unternehmen präsentieren sich unter dem Deckmantel der CO2-Kompensation nach außen hin klimafreundlich, ohne aber das eigene klimaschädliche Verhalten abzustellen. Für uns bedeutet das: Auch wir können unsere Klimasünden durch Kompensation "reinwaschen", ohne dabei das Verhalten zu ändern.
Kai Landwehr, Pressesprecher der Klimaschutzorganisation myclimate in Zürich hält die Greenwashing-Debatte für ein Totschlagargument. "Die Gefahr, von den Medien und Konsumenten dabei ertappt und hinterher "zerrissen" zu werden, ist für Unternehmen ein viel zu großes Risiko", erklärt er.
Prof. Andreas Ziegler von der Universität Kassel beschäftigt sich mit der freiwilligen CO2-Kompensation. Seine Ergebnisse belegen, dass im Privaten vor allem solche Menschen kompensieren, die sich ohnehin stark im Klimaschutz engagieren und auf ein klimafreundliches Konsumverhalten achten. Kommt "Greenwashing" deshalb gar nicht vor? Wohl eher doch. Es wäre aber falsch, deshalb alle, die kompensieren, unter Generalverdacht zu stellen.
3. Unternehmen zahlen weniger für klimaschädliches Verhalten
Wenn wir unsere Emissionen beispielsweise bei den Klimaschutzorganisationen myclimate, Klimakollekte, Atmosfair oder Climate Partner ausgleichen wollen, zahlen wir zwischen 15,00 und 28,00 Euro pro Tonne (Stand 24. Juni 2021).
Unternehmen verursachen zwar wesentlich mehr klimaschädliche Gase, zahlen ab einem bestimmten Volumen bei den meisten Anbietern aber deutlich weniger – bei myclimate auch mal nur 5,00 Euro pro Tonne CO2e. "Damit haben wir unsere "Schmerzgrenze" im Prinzip schon längst überschritten", sagt Kai Landwehr von myclimate.
Klar, die Anbieter von Kompensationen stehen untereinander im unternehmerischen Wettbewerb. Die Haupteinnahmequelle für die Klimaschutzprojekte sind Unternehmen, nicht Privatkunden – und die entscheiden sich im Zweifel für das Projekt mit dem niedrigsten Preis.
Und: Wenn Unternehmen große Mengen klimaschädlicher Gase verursachen und diese kompensieren, kann mit dem Erlös viel mehr im Klimaschutz umgesetzt werden, als wenn einzelne Privatpersonen kompensieren. Selbst dann, wenn die Unternehmen dafür einen wesentlich geringeren CO2e-Preis pro Tonne zahlen müssen, so die Logik vieler Anbieter.
Nur besteht die Gefahr, dass niedrige CO2e-Preise dazu führen, dass es wesentlich attraktiver ist, zu kompensieren als das eigene klimaschädliche Verhalten zu verändern. Nach eigenen Angaben entzieht sich der Anbieter "Klimakollekte" diesem Wettbewerb – Privatpersonen und Unternehmen zahlen den gleichen Kompensationspreis.
4. Unterstützt man durch Kompensation autokratisch regierte Regimes?
Anders gefragt: Ist es ethisch und moralisch vertretbar, durch Klimaschutzprojekte in autokratisch regierten Ländern zu kompensieren? Beispiel Eritrea. Eine harte Autokratie ohne Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheiten. Die politische Führung hat schwere Menschenrechtsverletzungen begangen und beutet seine eigene Bevölkerung systematisch aus.
Jetzt gibt es dort Klimaschutzprojekte, die neben dem Klimaschutz darauf abzielen, die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort zu verbessern. Fraglich ist aber, ob Investitionen in diese Projekte indirekt das Regime unterstützen. Denn: Der Präsident kann sich dadurch auf ausländische Investoren verlassen, die zur Lebensverbesserung seines Landes beitragen. Anders ausgedrückt: Er beutet aus und andere zahlen dafür.
Klimapolitikexperte Denis Machnik sieht das so: "Wenn ich privat Projekte in solchen Ländern auswähle, achte ich darauf, dass die Maßnahmen vor allem die Menschen vor Ort erreichen. Für mich sind das Projekte auf Haushaltsebene. Ich würde daher nicht durch große Industrieprojekte kompensieren". In Eritrea also beispielsweise lieber ein Solarkocherprojekt unterstützen.
5. Keine doppelte Anrechnung von reduzierten Emissionen
In Zukunft wird durch das Pariser Klimaschutzabkommen die freiwillige CO2-Kompensation komplizierter. Denn jetzt können sich die Länder, in denen die Klimaschutzprojekte durchgeführt werden (Gastländer), diese Emissionsminderungen selbst anrechnen. Wenn das passiert, erheben aber zwei Parteien Anspruch auf die reduzierten Emissionen: das Gastland auf der einen – und Privatkunden oder Unternehmen, deren Geld in das Projekt geflossen ist, auf der anderen Seite. Ein Problem, denn keine Minderung darf zweimal gezählt werden.
Wie damit umgegangen werden soll, ist im Pariser Abkommen ein offener Punkt, der immer wieder vertagt worden ist. Vorstellbar wäre es, dass die Gastländer auf ihren Minderungsanspruch verzichten. Gefahr dabei ist, dass sie indirekt zu diesem Verzicht "gezwungen" werden würden, weil sie auf den Geldfluss ausländischer Investitionen angewiesen sind.
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Aber:
Wenn nichts anderes geht, ist Kompensation richtig
Gutes Beispiel: Flug-Shaming
Der Begriff "Flug-Shaming" kommt aus dem Schwedischen und zielt darauf, dass Menschen sich für das Fliegen schämen sollen. Aber: Es kommt immer auf den Zweck der Reise an. Für die Urlaubsreise beispielsweise nach Bolivien bietet der Flieger die schnellste und einzige Möglichkeit zum interkulturellen Austausch. Es ist völlig richtig, solche Flugreisen auszugleichen.
Anders sieht es bei Business-Flügen im Inland aus. Warum überhaupt fliegen und nicht auf die Bahn umsteigen? Atmosfair zum Beispiel weist extra darauf hin, dass die CO2-Kompensation nur die zweitbeste Lösung ist – und nur dann, wenn Flüge nicht vermieden werden können. Übrigens: Wer sich die Fluggesellschaft aussuchen kann, der findet im Airline Index von Atmosfair eine umfangreiche Übersicht der klimafreundlichsten Fluglinien im Vergleich.
Für das Auto gilt: Kleinere Autos, langsamer fahren und sich ruhig mal ein Auto teilen – oder, wer kann, auf E-Autos umsteigen. Und klar, wo es geht, das Auto stehen lassen.
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Und jetzt?
Immer ganz genau hinschauen
Ein Gütesiegel der besonderen Art ist der Gold-Standard. Projekte dieses Standards leisten nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch zu mindestens einem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen – die weltweit zu einem menschenwürdigen Leben führen und die Umwelt dauerhaft schützen sollen.
Mit einem Solarpanelprojekt in Kenia mit Gold-Standard unterstützt man beispielsweise bezahlbare und saubere Energie (Ziel 7), menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum (Ziel 8) und Maßnahmen zum Klimaschutz (Ziel 13).
Gemeinnützig oder kommerziell?
Es gibt gemeinnützige und kommerzielle Klimaschutzorganisationen. Generell ist keins von beidem per se ein Qualitätsmerkmal.
1. Gemeinnützige Organisationen
Hier stehen neben dem Klimaschutz das Gemeinwohl und sozial-ökologische Aspekte im Vordergrund. In der Regel zahlt man für ihre Projekte mehr, denn die Einnahmen fließen bis zu über 90 Prozent direkt wieder zurück in die Klimaschutzprojekte. Der Rest fließt etwa in Personal, Miete und Bürobedarf.
Häufig entwickeln sie ihre Projekte gemeinsam mit Partnern vor Ort. Allerdings kommt es auch vor, dass Projekte hinzugekauft und zu günstigeren Preisen angeboten werden. Ganz logisch: Für das Umsetzen eigener Projekte wird schon allein durch die Logistik sehr viel mehr Geld benötigt.
Alle 2018er Testsieger der Stiftung Warentest sind gemeinnützig. Dazu gehören: Atmosfair (Note: 0,6), Klimakollekte (Note: 1,1), Primaklima (Note: 1,5) und myclimate (Note: 2,2).
2. Kommerzielle Anbieter
Die Kommerziellen haben ein anderes Geschäftsmodell und legen ihren Fokus oft stärker auf die Unternehmensberatung. Meistens kaufen sie wesentlich mehr Klimaschutzprojekte ein, als sie selbst mitentwickeln. In vielen Fällen können sie dadurch Projekte günstiger anbieten.
Dringend abzuraten ist von billigen Klimaschutzzertifikaten für ein bis drei Euro pro Tonne. Obwohl diese Preise tatsächlich auf dem Markt existieren, ist es fragwürdig, ob sie tatsächlich zum Klimaschutz beitragen. Ein vernünftiger Ausgleichspreis muss deutlich höher liegen.
Generell gilt: Gute Organisationen bieten mehr an als nur Zertifikate – etwa Bildungs- und Informationsprogramme oder Inhalte zum Klimaschutz.
Klar ist: Kompensation kann nur ein Baustein sein
Um global deutlich unter zwei Grad Celsius zu bleiben, ist ein Zusammenspiel aller vorhanden Maßnahmen notwendig. Ja, Klimaschädliches auszugleichen, ist ein erster Schritt. Aber es reicht längst nicht. Klar, wir werden unser Verhalten ändern müssen.
Will Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele aber ernsthaft erreichen, muss vor allem die Bundesregierung künftig noch wesentlich stärker schrauben – allen voran in der Energiewirtschaft, der Landwirtschaft und im Verkehr. Und ja, es wird auch neue Technologien brauchen, etwa um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Aber das ist nochmal ein anderes Thema.
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Mein Schatz und ich kompensieren unseren CO2 Betrag.Wir haben/wollen keinen Nachwuchs.
Seit Ihre Beide sterilisiert?Liebe ohne Verkehrsunfall.
Klimasekte ist genau wie Kirchliche gibt Menschen schuld am Wetter was natürlich ist. Früher lag das an biblischen Sünden. jetzt liegt das angeblich an co2. Das einziger Grund für alles ist abzocke der Bürger
Es ist schon etwas schräg die Klimazertifikate mit dem katholischen Ablass zu vergleichen. Denn bei den Zertifikaten werden durch das eingenommene Geld Projekte finanziert, die CO2-Ausstoß verhindern oder was noch besser ist CO2 binden. Bei dem Ablass geht es um Angst vor dem Fegefeuer und der Reduktion von der Verweildauer… Weiterlesen »
ist genau das gleiche Grund um Menschen abzuzocken wird denen eingetrichtert das die erde untergeht ohne CO2 Ablass
Schuldzuweisung hat immer schon funktioniert. Man sollte endlich aufhören, den kleinen Bürgern diese Verantwortung aufzuerlegen. Schuld an allen Umweltschädigungen ist allein die Industrie und deren Gier. Produkte, die nicht angeboten werden, werden auch nicht gekauft! Ich finde es eine bodenlose Frechheit, den kleinen Bürger auf diesem Wege zur Kasse zu… Weiterlesen »
Genau so ist es!
Ich kompensiere selber, besitze einen Wald, der meine CO2 Emissionen wieder zurückverarbeitet… 🙂
Hallo Peter, eine sehr egoistische Einstellung eine Ausrede zu haben um WEDER das eigene Verhalten zu verändern NOCH ein paar € in die Hand zu nehmen und damit etwas Gute zu tun.
Würde jeder so denken, dann gute Nacht, TRAURIG
Viel Spaß Oliver, beim Kauf sinnfreier CO2 Zerfifikate.