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Krankhafte Erschöpfung
Darum sollten wir das Chronische Fatigue-Syndrom ernst nehmen
Das Chronische Fatigue-Syndrom ist selbst bei Ärztinnen und Ärzten noch relativ unbekannt. Langsam beginnen Forschende zu verstehen, was sich hinter der quälenden Erschöpfung verbirgt.
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Artikel Abschnitt: Was ist das Chronische Fatigue-Syndrom?
Was ist das Chronische Fatigue-Syndrom?
Die Erschöpfung tritt oft mit einer gewissen Verzögerung ein, was es für die Patientinnen und Patienten schwierig macht, die eigenen Grenzen frühzeitig zu erkennen und einzuhalten. Auch nach dem Schlafen fühlen sie sich nicht ausgeruht. Hinzu kommen häufig Konzentrationsstörungen, Reizempfindlichkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Halsschmerzen, Übelkeit und schmerzhaft geschwollene Lymphknoten.
Krankhafte Erschöpfung mit mittlerem bis schwerem Verlauf
Das Ausmaß der Fatigue, so der medizinische Ausdruck für krankhafte Erschöpfung, geht von einer mittleren Beeinträchtigung bis hin zu schweren Verläufen, bei denen die Betroffenen bettlägerig und zeitweise sogar zu schwach zum Sprechen sind. Über die Hälfte der Patient:innen ist arbeitsunfähig, viele sind auf Pflege angewiesen. Für die Diagnose müssen die Beschwerden seit mindestens sechs Monaten bestehen.
Da Fatigue ein Symptom ist, das bei verschiedenen Krankheiten vorkommt, müssen zunächst andere Ursachen wie Krebs, Multiple Sklerose, ein Eisenmangel oder eine Schilddrüsenunterfunktion ausgeschlossen werden. Anders als etwa bei Multipler Sklerose, die Ärzt:innen an charakteristischen Veränderungen im MRT erkennen, gibt es bislang keinen Bluttest und kein bildgebendes Verfahren, das die Diagnose ME/CFS eindeutig belegt. Sie wird deshalb vor allem auf Grundlage der Symptom-Beschreibungen des Patienten, beziehungsweise der Patientin gestellt.
Spezialistinnen wie Carmen Scheibenbogen vom Fatigue-Centrum der Berliner Charité kennen jedoch typische Anzeichen, die sich objektiv messen lassen: "Die Patienten haben meistens eine verminderte Muskelkraft. Das lässt sich mit einem Handkraftmesser feststellen, bei dem man so fest wie möglich zudrücken soll. Außerdem schlägt das Herz schneller als bei Gesunden."
Artikel Abschnitt: Wer ist gefährdet?
Wer ist gefährdet?
Andere Erkrankungen gehen mit Chronischer Fatigue einher
Eine Reihe von Erkrankungen geht gehäuft mit anhaltender Erschöpfung einher, sodass Betroffene ein höheres Risiko tragen, zusätzlich an chronischer Fatigue zu erkranken. Dazu gehört Fibromyalgie: Muskel- und Gelenkschmerzen, die durch eine gestörte Schmerzverarbeitung im Nervensystem entstehen – häufig begleitet vom so genannten 'brain fog‘. Das sind Konzentrationsstörungen, wie sie auch bei ME/CFS auftreten. Die Betroffenen vergessen, was sie gerade tun wollten, und fühlen sich wie benebelt.
Auffällig oft treten auch das Reizdarm-Syndrom und eine Fehlregulation des vegetativen Nervensystems namens Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom, kurz POTS, bei ME/CFS-Patient:innen auf. Leidet man an POTS, kommt es beim Aufrichten aus dem Liegen oder Sitzen zu Herzrasen, Schwindel und Schwäche. Bei manchen beginnen die Beschwerden mit einem Infekt.
So ist es auch bei ME/CFS. Bei vielen bricht die Krankheit nach einer Viruserkrankung aus. Besonders nach einer Infektion mit dem Pfeiffer' schen Drüsenfieber, das durch das Epstein-Barr-Virus ausgelöst wird, kommen manche Patient:innen nicht mehr auf die Beine. Etwa zehn Prozent leiden sechs Monate später noch an ME/CFS- Symptomen. Auch eine durch Herpesviren ausgelöste Gürtelrose oder eine Grippe können in eine chronische Fatigue übergehen. Allerdings hatten nicht alle ME/CFS-Patient:innen unmittelbar vor Ausbruch der Krankheit einen Infekt. Bei manchen ging ihr offenbar eine Verletzung, eine Operation oder besonderer Stress voraus.
Artikel Abschnitt: Ist ME/CFS psychisch bedingt?
Ist ME/CFS psychisch bedingt?
Empfehlungen, die depressiven Menschen aus der Lethargie helfen, sind jedoch schädlich für ME/CFS-Patient:innen. Sport etwa verschlimmert die Symptome. Auch Antidepressiva helfen den Betroffenen in der Regel nicht. Und Untersuchungen zeigen, dass ME/CFS-Patient:innen vor ihrer Erkrankung nicht häufiger an einer psychiatrischen Krankheit wie Depression oder Schizophrenie gelitten haben als andere Menschen. Außerdem: Auch bei psychischen Störungen sind Müdigkeit und Antriebsmangel weder eingebildet noch simuliert und müssen ernst genommen und behandelt werden.
Warum Depressionen keine Einbildung sind, erklären wir hier.
Artikel Abschnitt: Was passiert bei ME/CFS im Körper?
Was passiert bei ME/CFS im Körper?
Es könnte sich um eine Autoimmunerkrankung handeln
Vieles spricht dafür, dass es sich zumindest bei einem Teil der ME/CFS-Fälle um eine Autoimmunerkrankung handelt. Das könnte erklären, warum die Krankheit häufig durch ein Virus getriggert wird. Das Immunsystem greift dann im Eifer des Abwehrgefechts den eigenen Körper an. Diejenigen Autoantikörper, die sich bei ME/CFS-Patient:innen teilweise vermehrt finden, sind an der Steuerung des vegetativen Nervensystems beteiligt.
Dieses kontrolliert unter anderem Herzschlag, Atmung und Verdauung. Deswegen wird ME/CFS auch als neuroimmunologische Krankheit kategorisiert. "Diese Autoantikörper richten sich speziell gegen den Adrenalinrezeptor. In Folge wird zu viel Adrenalin freigesetzt und die Feinsteuerung des vegetativen Nervensystems kommt aus dem Gleichgewicht, wodurch eine permanente Stressreaktion abläuft", erklärt Carmen Scheibenbogen. Der Körper ist dann dauerhaft überlastet und nicht mehr in der Lage, zu regenerieren.
Die Mitochondrien produzieren nicht mehr genug Energie
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass bei ME/CFS die Kraftwerke der Zelle die Energieproduktion drosseln. Die Mitochondrien wandeln Zucker und Sauerstoff in Energie um und stellen sie dem Körper normalerweise in Form von Adenosintriphosphat (ATP) bereit. Dieser Vorgang ist bei ME/CFS-Patient:innen womöglich gestört. In einem Experiment, bei dem Forschende um den Virologen Bhupesh Prusty von der Universität Würzburg Blutserum von ME/CFS-Patient:innen zu gesunden Zellen gaben, waren die Mitochondrien nicht mehr in der Lage, genug Energie zu produzieren. Sie hatten sich teilweise sogar verformt.
So eine Reaktion der Mitochondrien kennen Wissenschaftler:innen bereits. Sie kann durch bestimmte Herpesviren entstehen, die die meisten unbemerkt in sich tragen. Bei manchen Menschen brauche es nur einen zusätzlichen Infekt, wie er oft im Vorfeld einer ME/CFS-Erkrankung auftritt, um das Virus zu reaktivieren und Zellschäden anzurichten – so eine Hypothese.
Warum diese Störungen bei manchen zum Dauerzustand werden und der Organismus sich nicht mehr erholt, ist noch nicht abschließend geklärt. Vermutlich spielt ein genetisches Risiko bei der Entstehung von ME/CFS eine Rolle. Wie die einzelnen biologischen Auffälligkeiten zusammenwirken, ob und wie sie sich ursächlich beeinflussen, wird zurzeit noch erforscht.
Artikel Abschnitt: Kann Covid-19 ME/CFS auslösen?
Kann Covid-19 ME/CFS auslösen?
Solche Langzeitdaten liegen zu Covid-19 noch nicht vor. Doch langwierige Verläufe sind so verbreitet, dass es dafür schon einen Namen gibt: Long Covid. Laut einer Studie des US-amerikanischen Centers for Desease Control (CDC) ist mehr als ein Drittel der ambulanten Patient:innen mit einem moderaten Verlauf auch drei Wochen nach der Diagnose noch nicht wieder fit. Das ergab eine Untersuchung an Patient:innen, die nicht stationär behandelt wurden. Es trifft auch junge, zuvor gesunde Menschen, die in der Akutphase nur leichte Beschwerden hatten. Am häufigsten klagen Betroffene über anhaltende Fatigue. Sie müssen sich immer wieder ausruhen, kommen schnell aus der Puste – an Sport ist nicht zu denken.
Die Symptome erinnern an ME/CFS, infrage kommen aber auch andere Erklärungen wie eine direkte Schädigung durch die Vermehrung des Virus im Körper. So hinterlässt das Virus mitunter Narben im Lungengewebe. Auch in anderen Organen kann SARS-CoV-2 Schaden anrichten.
Ob und wie häufig ME/CFS hinter den Spätfolgen steckt, ist noch unklar. Um das zu klären, braucht es noch Zeit. Frühestens nach sechs Monaten kann die Diagnose überhaupt gestellt werden. Wissenschaftler:innen weltweit, auch Mediziner:innen der Berliner Charité, beginnen nun, den Zusammenhang von ME/CFS und Covid-19 zu erforschen.
Artikel Abschnitt: Ist ME/CFS behandelbar?
Ist ME/CFS behandelbar?
Ein Ansatz, um die Symptome in Schach zu halten, ist das sogenannte "Pacing": das bewusste Einteilen der verbleibenden Kräfte mit genug Pausen und Entspannung. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann den Betroffenen außerdem dabei helfen, Stress abzubauen und trotz der Krankheit ein erfülltes Leben zu führen.
Es gibt Grund zur Hoffnung. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weltweit forschen an gezielten Therapien, unter anderem an Medikamenten, die auf das Immunsystem einwirken. Der Zustand mancher Patient:innen verbessert sich von selbst mit der Zeit, einige wenige genesen vollständig. Bei Selbsthilfegruppen und Patientenverbänden wie Fatigatio e. V. können Betroffene sich austauschen und Rat holen.
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Hilfreich und anerkenneswert, dass ME/CFS „populärer“ werden. Bedauerlich, dass es dafür erst Covid geben musste und dieses hier und in anderen Artikeln immer wieder mehrfach erwähnt und hervorgehoben wird. Zumindest schrieben Sie hier auch von Eppstein Bar und Herpes. Leider erwähnen nur wenige Artikel ME/CFS als Folge / bei chronischer… Weiterlesen »
Eine Verhaltenstherapie kann nur helfen, wenn Therapeut oder Therapeutin die Krankheit genau kennen und einordnen können, ansonsten klagen 85% über eine Verschlimmerung der Beschwerden nach cbt. Auch muss Pacing beachtet werden, eine Therapie kann nur vom Bett aus für wenige Minuten durchgeführt werden, ansonsten viel zu anstrengend und dann auch… Weiterlesen »
Weiter zu meine vorherige, noch nicht von Ihnen genaehmigte Beitrag. Ersetzen vom Darmflora. Das Immunsystem muss fremde Bevoelkerungen akzeptieren. Das ist bereits gut moeglich lesen Sie Teil 8 und 9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6121872/ Wenn mann das zweimal macht, zeitverschoben, dann kan mann davon ausgehen dass das Immunsystem, nach eine Breitspektrum antibiotika Behandlung,… Weiterlesen »
Vielen Dank für diesen Bericht, umso wichtiger das dieser von einer Psychologin stammt und klar gestellt wird das es sich bei ME/CFS nicht um eine psychische Erkrankung handelt. Leider ist das wie die Kenntnis der Krankheit bei vielen Ärzten immer noch die Ausnahme.
Eine spezifische chronische Immunaktivierung ist die Ursache von CFS Es kann verschiedene Ursachen für die Entwicklung dieses Zustands geben. Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3964747/ Teil 3.1 Es gibt einen chronischen Entzündungszustand mit erhöhten Konzentrationen an proinflammatorischen Zytokinen und O & NS. Es gibt immer eine ganze Reihe von Reaktionen, die sich gegenseitig aufrechterhalten.… Weiterlesen »