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Mikrobiom
Warum unsere Helferbakterien verschwinden
Ein Heer aus Bakterien, Pilzen und Viren hilft unserem Körper bei der Arbeit. Doch die Vielfalt der Mikroorganismen nimmt immer weiter ab. Schuld ist unter anderem der Lebenswandel in der westlichen Welt.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Das Mikrobiom unterstützt unseren Körper
Die Mikroben sind so winzig klein, dass wir sie nur unter einem Mikroskop erkennen können. Und doch können wir auf viele von ihnen nicht verzichten. Sie helfen uns dabei, wichtige Gefechte auszutragen. Auf dem Schlachtfeld in unserem Körper gibt es:
- Die "schlechten" Mikroben: Das sind Bakterien, Viren und Pilze, die unserem Körper schaden. Diese feindlichen Truppen können Infektionen und Entzündungen auslösen – wie zum Beispiel eine Zahnfleischentzündung oder eine Magen-Darm-Grippe.
- Die "neutralen" Mikroben: Neben den Feinden gibt es einige Truppen von Mikroorganismen, die sich nicht in den Krieg einmischen. Sie helfen uns nicht, aber schaden uns auch nicht. Sie sind einfach da.
- Die "guten" Mikroben: Das sind unsere Verbündeten. Diese Bakterien, Viren und Pilze haben einen Pakt mit unserem Körper geschlossen. Sie bekommen von ihm die Nährstoffe, die sie zum Überleben benötigen, und im Gegenzug unterstützen sie uns bei schwierigen Aufgaben: Sie helfen als Alliierte dabei, Krankheitserreger abzuwehren. Sie assistieren dem Darm bei der Verdauung, indem sie Nährstoffe bereitstellen. Und sie bilden unser Immunsystem aus, damit wir Eindringlinge besser erkennen.
Je mehr verschiedenartige Truppen wir von den guten Mikroben besitzen, desto besser erledigen sie ihren Job. Das lässt sich am besten verstehen, wenn man an einen echten Kampf denkt. Je mehr unterschiedliche Krieger:innen, desto besser können sie den feindlichen Angriff abwehren: Im Schwertkampf werden die Gegner:innen im Nahkampf erledigt. Bogenschützen bekämpfen Angreifende auf Distanz. Und Kämpfer:innen, die Kanonen abfeuern, zerstören ganze Festungen. "Einzelne Bakterien sind nutzlos", sagt Entwicklungsbiologe Thomas Bosch, der am Zoologischen Institut der Universität Kiel zum Thema Mikrobiom forscht. "Es kommt auf das Zusammenspiel der verschiedenen Bakterien an". Deshalb sei die Diversität unseres Mikrobioms sehr wichtig.
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Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Die Vielfalt des Mikrobioms hat abgenommen – vor allem in der industrialisierten Welt
Den Verlust unserer Helfer-Mikroben konnten Forschende in verschiedenen Studien bestätigen. So hat ein internationales Forschungsteam beispielsweise Naturvölker in Brasilien über 30 Jahre beobachtet und immer wieder Mikroben-Proben entnommen. Die jüngere Generation ist während dieser Zeit schrittweise zunächst in das nächste Dorf, dann in die nächste Stadt und anschließend in eine Metropole gezogen. Bei jedem Schritt vom Land in die Stadt haben die untersuchten Personen einen Teil ihres Mikrobioms verloren.
"Diese Studien zeigen, dass es ein deutliches Gefälle von Land zu Stadt gibt", sagt Entwicklungsbiologe Bosch. Das ließe sich etwa auch feststellen, wenn man das Mikrobiom von Menschen aus Zentralafrika und Deutschland vergleicht. Auch US-amerikanische Forschende konnten einen deutlichen Mikroben-Verlust in der westlichen Bevölkerung feststellen. Sie schreiben in ihrer Studie, dass "das Mikrobiom des Menschen in der industrialisierten Welt anders ist als alles, was die menschliche Bevölkerung jemals erlebt hat". Als Grund dafür vermuten Wissenschaftler:innen unseren Lebenswandel:
- Hygienestandards: Menschen in industrialisierten Gesellschaften leben heute deutlich sauberer als noch vor rund 100 Jahren: Wir duschen täglich, haben eine funktionierende Kanalisation und Trinkwasser in bester Qualität. Das verhindert Krankheiten, es führt aber auch dazu, dass wir weniger Bakterien aufnehmen.
- Zusammenleben: Während früher Großfamilien in einem einzelnen Raum wohnten, hat heute jeder sein eigenes Zimmer in einem großen Haus. "Dort kommt es zu einem geringeren Austausch von Mikroorganismen", sagt Experte Bosch.
- Ernährung: "Wir essen heute weniger Ballaststoffe und mehr verarbeitete Lebensmittel mit viel Fett und Zucker", sagt Dirk Haller, der am Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie der Technischen Universität München forscht und sich seit 20 Jahren mit dem Thema Mikrobiom beschäftigt. Das führt dazu, dass der Körper jene Bakterien-Truppen im Darm abzieht, die normalerweise Ballaststoffe zerlegen. Sie werden nicht mehr gebraucht.
- Antibiotika: Sie werden heute nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Landwirtschaft eingesetzt. Von dort aus landen Rückstände auf den Feldern und anschließend in Gewässern, wo Menschen sie aufnehmen können. Das Problem: Antibiotika beseitigen nicht nur Krankheitserreger, sondern gleichzeitig auch nützliche Bakterien.
- Kaiserschnitte: Frauen entbinden heute häufiger per Kaiserschnitt. Bei dem Eingriff kommen Babys nicht mit den Mikroben im Geburtskanal in Kontakt und sind mit weniger Helferbakterien ausgestattet.
Wie die Geburt deine Gesundheit sonst noch beeinflusst, erklären wir in diesem Artikel.
- Stillen: Frauen stillen heute weniger als vor einigen Jahrzehnten. Am Fläschchen werden Babys allerdings weniger Bakterien ausgesetzt als über die Muttermilch und den Kontakt mit der Brust.
"Das alles geht zulasten einer evolutionär lange gebildeten Partnerschaft zwischen uns und den Bakterien", sagt Entwicklungsbiologe Bosch. Das Problematische: "Diese Entwicklung lässt sich nicht einfach rückgängig machen."
Dass wir die Bakterien-Truppen in unserem Körper verlieren, ist nicht nur tragisch, weil sie unserem Körper bei diversen Aufgaben wie der Verdauung oder der Bekämpfung von Krankheitserregern helfen. "Ein Schwund an Mikroben ist assoziiert mit dem Aufkommen von diversen Erkrankungen in der westlichen Welt", so Bosch. Wer ein weniger vielfältiges Mikrobiom besitzt, ist beispielsweise anfälliger für Typ-1-Diabetes. Auch Allergien treten häufiger bei Personen auf, die im Laufe ihres Lebens weniger mit Bakterien in Kontakt gekommen sind.
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Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Die Auswirkungen sind noch nicht vollständig bekannt
Die fehlende Kausalität sei das zentrale Problem
Sind die fehlenden Mikroben schuld daran, dass ein Mensch eine bestimmte Krankheit entwickelt – oder ist die Krankheit daran schuld, dass es weniger Mikroben gibt? Dieses Henne-Ei-Problem versuchen Forschende aktuell zu lösen. Und es gibt weitere Hürden: Mikrobiom-Forscher Haller hat etwa in einer seiner Studien herausgefunden, dass sich die Mikroben-Zusammensetzung je nach Tageszeit ändert. Das macht es noch schwieriger, einzelne Proband:innen und ganze Studien zu vergleichen. Denn je nachdem, wann eine Probe entnommen wird, könnten unterschiedliche Ergebnisse entstehen.
Wissenschaftler:innen können heute noch nicht sagen, ob es eine bestimmte Zusammensetzung an Bakterien gibt, die besonders gesundheitsfördernd ist. "Wahrscheinlich gibt es das eine, perfekte Mikrobiom nicht", sagt Haller. Denn das Mikrobiom jedes einzelnen Menschen sei so individuell wie ein Fingerabdruck. Aber: "Vielleicht gibt es irgendwann ein System – ähnlich wie die Blutgruppen", so der Forscher. Anhand eines solchen Systems könnten Forschende in Zukunft Risikoprofile erstellen. Zum Beispiel: Wer die Bakterien A und B besitzt, aber nicht den Bakterienstamm C, gehört zur Risikogruppe für eine bestimmte Krankheit. Daran können Mediziner:innen Therapien und Empfehlungen anknüpfen – etwa für eine Ernährungsumstellung oder ein bestimmtes Medikament.
Weitere Angaben zum Artikel:
Beeinflusst das Mikrobiom, ob und wie wir krank werden?
Was wir wissen
- Chronische Immunerkrankungen: Für chronische Immunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes ist der Zusammenhang sehr gut belegt. Das heißt: Wer ein weniger diverses Mikrobiom besitzt, hat ein höheres Risiko, einen Typ-1-Diabetes zu bekommen.
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: Auch für den Einfluss vom Mikrobiom auf Krankheiten wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa gibt es nach Einschätzung der Expert:innen eine recht gute Evidenz.
- Allergien: Dass Menschen, die mit weniger Bakterien in Kontakt kommen, häufiger an Allergien und Asthma leiden, ist ebenfalls gut belegt.
Wo noch Forschung nötig ist
- Stoffwechselerkrankungen: Für Krankheiten des Stoffwechsels wie etwa Typ-2-Diabetes gibt es bereits eine solide Evidenz. Das Problem: Manche Studien sind nicht reproduzierbar. Das heißt: Wenn eine weitere Forschungsgruppe eine bestimmte Studie erneut durchführt, kommt diese nicht auf die gleichen Ergebnisse. Es ist daher möglich, dass ein weniger vielfältiges Mikrobiom nur einer von mehreren Faktoren ist, die die Krankheit auslösen.
- Darmkrebs: Es gibt einige Untersuchungen, die dem Mikrobiom eine gewisse Schutzfunktion gegen Darmkrebs bescheinigen. Aber auch hier sind die Bakterien vermutlich nur einer von mehreren Effekten.
- Neurologische Erkrankungen: Es gibt erste Hinweise darauf, dass ein weniger diverses Mikrobiom neurologische Krankheiten wie Demenz und Alzheimer auslöst. Auch diese Studien müssen zunächst von anderen Forschungsgruppen überprüft werden, bevor der Zusammenhang gesichert ist.
Was wir (noch) nicht wissen
- Reizdarm: Es gibt verschiedene Ursachen für einen Reizdarm – zum Beispiel Störungen der Darmschleimhaut, Infektionen oder Stress. Daher ist es schwierig, den Zusammenhang mit einem weniger vielfältigen Mikrobiom zu belegen.
- Adipositas: Ob die Zusammensetzung des Mikrobioms auch mit Übergewicht und Adipositas zusammenhängt, wird unter Forschenden und Betroffenen sehr kontrovers diskutiert. Der Zusammenhang wurde jedoch noch nicht belegt.
- Depressionen: Auch bezüglich Depressionen gibt es sehr hitzige Diskussionen darüber, ob die Erkrankung durch ein weniger diverses Mikrobiom entsteht. Es gibt jedoch noch keinen Beleg dafür.
- Autismus: Hier geben bisher nur Studien am Tiermodell erste Hinweise: Mäuse, die in einer sterilen Umgebung aufwachsen und keinen Bakterien ausgesetzt sind, sind verhaltensauffällig – sie sind ängstlicher und weniger sozial. Es fehlen Studien, die den Effekt am Menschen belegen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Das Mikrobiom mit einer Arche Noah retten
Gleichzeitig schwindet die Vielfalt an Mikroorganismen in unserem Körper zunehmend. Das macht die Mikrobiom-Forschung zu einem Wettlauf mit der Zeit. Schaffen es Wissenschaftler:innen rechtzeitig, die Funktion der winzigen Soldaten zu erkennen, bevor sie verloren gehen?
Aufgrund des Zeitdrucks haben internationale Forschende das Projekt "Microbiota Vault" ins Leben gerufen. Die Wissenschaftler:innen wollen die Mikroorganismen von Menschen aus ländlichen Gebieten sammeln und konservieren. Experte Bosch vergleicht das Projekt mit einer Art Arche Noah für Mikroben. "So können wir die gesundmachenden Bakterien sichern, bevor wir sie durch unseren Lebensstil für immer verlieren", sagt der Entwicklungsbiologe
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie lässt sich das Mikrobiom stärken?
Stuhltransplantation
Diese Therapieoption wenden Ärzt:innen bereits bei Patient:innen an, die an einer Infektion mit dem Bakterium c. difficile oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa leiden. Bei der Methode bereiten die Mediziner:innen den Stuhl von gesunden Spender:innen auf und bringen ihn anschließend in den Darm der kranken Patient:innen ein. Dort hilft das Transplantat dabei, wieder ein gesundes Mikrobiom aufzubauen. "Was sich gruselig anhört, lindert in vielen Fällen den Krankheitsverlauf", sagt Mikrobiom-Forscher Bosch.
Probiotika
Es gibt diverse Produkte wie etwa Joghurts, die vermeintlich gesundheitsfördernde Bakterien enthalten und den Darm stärken sollen. Es ist jedoch für viele Probiotika noch nicht belegt, ob sie tatsächlich wirken.
Warum Probiotika ihr Geld noch nicht wert sind, haben wir hier aufgeschrieben.
Ernährung
"Eine ausgewogene und ballaststoffreiche Ernährung trägt zu einem gesunden Mikrobiom bei. Es lassen sich aber noch keine genauen Diätempfehlungen geben", sagt Ernährungswissenschaftler Haller. Als Richtwert für Ballaststoffe dient die Vorgabe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: 30 Gramm pro Tag. Das entspricht zum Beispiel drei Scheiben Vollkornbrot, einer Portion Früchtemüsli, drei Kartoffeln, zwei Karotten, zwei Kohlrabi und einem Apfel.
Weniger Antibiotika
Antibiotika sind ein bedeutender medizinischer Fortschritt und in vielen Fällen nötig und lebensrettend. Trotzdem sollten Mediziner:innen immer abwägen, ob das Antibiotikum tatsächlich notwendig ist, um möglichst viele Helferbakterien der Patient:innen zu erhalten.
Weniger Kaiserschnitte, mehr Stillen
Auch bei Kaiserschnitten sollten Mediziner:innen stets abwägen, ob der Eingriff nötig ist.
Wie sich Kaiserschnitte senken lassen, könnt ihr hier nachlesen.
Einen Punkt haben Mütter selbst in der Hand: Je länger sie stillen, desto mehr kommt ihr Baby mit nützlichen Bakterien in Kontakt
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Ihr vergesst die Nahrungsmittelzusatzstoffe! Glaubt Ihr im Ernst, dass Konservierungsstoffe, Antioxydantien etc. KEINE Mikrobiomkiller sind? Vom Nahrungsmittel bis zum Verpackungsmaterial ist alles voll von Zusätzen! Als Salicylatintoleranter weiß ich, wo überall was drin ist. Solange Haltbarkeit das einzig Seeligmachende ist, wird sich da nicht viel zum Guten ändern. Beispiel: ein… Weiterlesen »
„Einen Punkt haben Mütter selbst in der Hand: Je länger sie stillen, desto…“
Wie schwierig stillen sein kann, wird hier übergangen. Oft liegt es eben nicht in der Hand der stillenden Person.
(Klenigkeit: Link zu „Wie sich Kaiserschnitte senken lassen, könnt ihr hier nachlesen“ ist verkehrt.)
Vielen Dank für den Hinweis, das ändern wir!