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Verhaltensökonomie
Darum sind unsere Entscheidungen oft irrational
Unsere Entscheidungen sind häufig nicht sehr weitsichtig. Der Grund dafür ist nicht nur unser innerer Schweinehund, sondern auch unsere verzerrte Wahrnehmung.
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Inhalt
- Darum geht’s: Wir verhalten uns oft nicht rational
- Darum müssen wir drüber sprechen: Unsere Intuition spielt für unsere Entscheidungen eine große Rolle
- Aber: Verzerrungen und Beeinflussung trüben unsere Intuition
- Und jetzt? Es gibt Möglichkeiten, unser Verhalten zu ändern. Die sind aber nicht unumstritten
- Darum geht’s: Wir verhalten uns oft nicht rational
- Darum müssen wir drüber sprechen: Unsere Intuition spielt für unsere Entscheidungen eine große Rolle
- Aber: Verzerrungen und Beeinflussung trüben unsere Intuition
- Und jetzt? Es gibt Möglichkeiten, unser Verhalten zu ändern. Die sind aber nicht unumstritten
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Wir verhalten uns oft nicht rational
Hier erklären wir, warum wir unsere Art, zu wirtschaften, verändern müssen
Dieses Verhalten ist eigentlich unmöglich – zumindest, wenn man es unter den Gesichtspunkten der traditionellen Wirtschaftswissenschaften betrachtet.
Der rationale Mensch, dem alle Infos vorliegen
Wie verhalten wir uns als Wirtschaftssubjekte? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schon seit Jahrhunderten. Heraus kam zunächst ein Modell mit dem Namen Homo oeconomicus.
Der Homo oeconomicus versucht, seinen Nutzen zu maximieren – er verfolgt also ganz emotionslos seinen eigenen Vorteil. Dafür trifft er Entscheidungen stets und ausschließlich nach rationalen Kriterien. Und sammelt dafür alle Informationen, die er braucht.
Ein umstrittenes Modell
Wer genau den Homo oeconomicus entwickelt hat, lässt sich nicht sagen. Der "prudent man" von Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert wird von manchen als Vorläufer verstanden. Die britischen Ökonomen David Ricardo und John Stuart Mill werden in diesem Zuge ebenfalls genannt – wie viele andere.
Der Realität entspricht das Modell allerdings nicht. Was erst mal noch nicht gegen das Modell spricht, schließlich ist menschliches Verhalten kompliziert – und Modelle sind dafür da, die Realität zu vereinfachen. Viele Ökonomen sind allerdings der Meinung, dass der Homo oeconomicus komplett unzutreffend ist.
Schwachstelle Mensch
Die Schwachstelle – die aber gleichzeitig in dem Modell eine Grundannahme bildet – sei die, den Menschen als rationales Wesen zu sehen, bemängelt beispielsweise der Wirtschaftsjournalist Edmund Conway. "Diese Schwachstelle ist letztlich verantwortlich für viele eklatante Fehler, die Ökonomen in den vergangenen Jahrhunderten gemacht haben."
Auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler und sein Kollege Cass Sunstein sagen: "Menschen treffen in vielen Situationen schlechte Entscheidungen." Das würden sie nicht tun, wenn sie – wie der Homo oeconomicus – umfassend informiert wären und unbegrenzte kognitive Fähigkeiten sowie absolute Selbstkontrolle hätten.
Das sind also schon mal einige Punkte, die uns vom Homo oeconomicus unterscheiden. Es gibt aber noch viele mehr. Gucken wir uns ein paar an.
- Moral und Werte
Im Gegensatz zum Homo oeconomicus werden unsere Handlungen von Moral- und Wertvorstellungen beeinflusst, sagt Conway. Wir tun oft eher das, was wir für richtig halten, und nicht das, was uns den größten Nutzen einbringt.
Zum Beispiel spielt Fairness für viele von uns eine große Rolle. Wir fühlen uns unwohl, wenn wir von der Oma bevorzugt werden und mehr Geld zugesteckt bekommen als unsere Geschwister.
- Herdentrieb
Manch irrationale Entscheidung treffen wir auch, weil wir uns als soziale Wesen an dem Verhalten von anderen orientieren. Dieser Herdentrieb wird beispielsweise am Aktienmarkt beobachtet.
"Gruppen, die einstimmig eine Meinung vertreten, können uns stark beeinflussen – selbst dann, wenn wir uns sicher sind, dass sie im Unrecht sind", stellen Thaler und Sunstein fest.
Der Punkt ist, dass es uns in solchen Situationen gar nicht darum geht, dass wir recht behalten: Wir wollen uns mit einer Entscheidung nicht unwohl fühlen, sagt der Soziologe Rolf von Lüde.
Das würden wir uns zunächst aber, wenn wir allein damit sind – in unserem eigenen Handeln also "eine Differenz des Handelns zu anderen zum Ausdruck käme". Wir sehen also emotionales Unbehagen als Folge einer Entscheidung und vermeiden sie daher.
- Keine Gedanken an morgen
Ein weiteres Argument gegen das Modell des Homo oeconomicus lautet, dass wir dazu neigen, uns in Entscheidungen viel stärker von den direkten Konsequenzen unseres Handelns leiten zu lassen als von den weiter in der Zukunft liegenden.
"Diese Neigung ist so stark ausgeprägt, dass wir oft bereit sind, unser langfristiges Wohlergehen einem direkten Vergnügen zu opfern", schreiben die Ökonomen Enste, Ewers und ihre Kollegen vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln).
- Gedanken an morgen, aber keine Taten
Obwohl Nachhaltigkeit für viele Menschen ein wichtiges Thema ist, kaufen sie nicht dementsprechend ein. Dieses Phänomen wird in der Forschung als Attitude-Behavior-Gap bezeichnet. Sie besagt, dass wir ein bestimmtes Verhalten nicht ausführen, obwohl wir diese Verhaltensweise als positiv bewerten – oder dass wir ein Verhalten an den Tag legen, das wir eigentlich negativ beurteilen.
Die Attitude-Behavior-Gap scheint "oftmals unüberwindlich", wie der Soziologe Kai-Uwe Hellmann schreibt. Die Gründe, warum beispielsweise nicht nach der nachhaltigen Überzeugung eingekauft wird, sind vielfältig. Menschen können schlecht informiert sein, obwohl es Siegel, Beratungs- und Bildungsangebote gibt.
Oder Verbraucher und Verbraucherinnen sind gut informiert und sensibilisiert, aber verunsichert – was dann zur Barriere werden kann. Ist es beispielsweise immer noch nachhaltig, regionale Äpfel weit nach der Erntezeit zu kaufen? Oder ist die energieintensive Lagerung umweltschädlicher als ein langer Transportweg?
- Das Gewohnheitstier
Ein weiterer Punkt, warum wir unser Kaufverhalten nicht ändern: "Menschen folgen oftmals ihren Gewohnheiten, anstatt ihr Verhalten daraufhin zu überprüfen, ob es optimal ist", sagt Wirtschaftsjournalist Edmund Conway.
Das liegt auch daran, dass Gewohnheiten einen großen Nutzen für uns haben, da sie automatisch ablaufen und jede Überprüfung kognitiven Aufwand erfordert.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Unsere Intuition spielt für unsere Entscheidungen eine große Rolle
Weitere Angaben zum Artikel:
Die Verhaltensökonomie
Eine wichtige Grundlage der Verhaltensökonomie ist die sogenannte 'Neue Erwartungstheorie‘ (Prospect Theory) von Kahneman und Tversky (1979). Sie versucht, das Verhalten von Menschen auf Märkten zu erklären.
Der klassische Homo oeconomicus gilt hier als fiktives Bild. Denn empirisch zu beobachten sind eher
- ein begrenzter Eigennutz in Form fairen Verhaltens
- begrenzte Willenskraft durch Aufschieben unbequemer Entscheidungen
- eine begrenzte Rationalität, also Fehler bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung.
Erklärt wird das mit den zwei Denksystemen des Menschen, um die es im folgenden Abschnitt geht.
Artikel Abschnitt:
Wie wär’s nun mit einer kleinen Denksportaufgabe?
Ein Baseballschläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro.
Der Baseballschläger kostet einen Euro mehr als der Ball.
Wie teuer ist also der Ball?
Kurz überlegen …
Und? Lautet die Antwort 10 Cent? Nein, tut sie nicht. Falls ihr auch falschgelegen habt, lasst euch trösten: Ihr seid nicht die Einzigen.
Intuition
"Viele Tausend Studenten haben die Schläger-und-Ball-Denkaufgabe beantwortet – und die Ergebnisse sind erschreckend", schreibt Daniel Kahneman.
"Über 50 Prozent der Studenten an den Universitäten Harvard, MIT und Princeton gaben die intuitive – falsche – Antwort." An Nicht-Elite-Unis waren es bis zu 80 Prozent.
Würde der Ball 10 Cent kosten, dann kostet der Baseballschläger 1,10 Euro. Macht nach Adam Riese insgesamt 1,20 Euro– und nicht 1,10 Euro. Richtig wäre, dass der Ball stolze 5 Cent kostet.
Kahneman bringt das zu dem Schluss: "Viele Menschen vertrauen ihren Intuitionen allzu sehr." Und hier liegt der Knackpunkt.
Zwei Systeme: Schnelles und langsames Denken
Diese Intuitionen beruhen auf unserem Denksystems 1. Es arbeitet schnell, automatisch und assoziativ. Es ist quasi der Autopilot in unserem Gehirn. Besonders in Gefahrensituationen, in denen wir schnell reagieren müssen, ist es wertvoll.
Das zweite System ist dagegen der Pilot: Es gewährleistet langsames Denken; prüft, ist fokussiert, rechnet nach und vergleicht.
Auch wenn System 2 das rationale ist und daher besser geeignet scheint, um Entscheidungen zu treffen, basieren unsere Urteile häufig auf unserem Autopiloten.
Zusammenspiel der Systeme
Wenn der Autopilot einen Reiz wie ein Bild oder Wort aufnimmt, prüft er zunächst: Ist es "leicht“, diesen Reiz zu verarbeiten? Handelt es sich beispielsweise um eine simple Aufgabe über Baseballschläger und Bälle?
Erst, wenn System 1 entscheidet, dass es mehr Aufmerksamkeit und Hirnschmalz braucht, um die Aufgabe zu lösen, schaltet sich unser Pilot System 2 ein.
Eine fast zuverlässige Arbeitsteilung
Dass sich System 2 nicht direkt einschaltet, hat seine Gründe. Zum einen sind wir faul. Das ist "tief in unserer Natur angelegt", so Kahneman. Außerdem würde es bei all den Informationen, die auf uns niederprasseln, sehr schwierig, jede Entscheidung ausführlich zu überdenken. Das intuitive System ist einfach schneller und braucht weniger bewusste Kapazität.
Zumal "System 1 im Allgemeinen höchst zuverlässig arbeitet“, sagt der Psychologe. Sprich: Die Aufteilung zwischen Autopilot und Pilot funktioniert in der Regel.
"Arten" von Intuitionen
Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow erklärte beispielsweise, dass Intuition einen Schachspieler ausmache: Die Anzahl möglicher Schachzüge sei so enorm, dass rationale Analysen nicht möglich sind.
An diesem Beispiel zeigt sich allerdings auch, dass Intuition nicht gleich Intuition ist. Kasparows Intuitionen beruhen auf "Fertigkeit und Sachkunde", wie Kahnemann ausführt. Denn sie wurden durch regelmäßige Übung erworben. Andere Intuitionen gehen aus Heuristiken hervor.
Heuristiken
Urteilsheuristiken sind allgemeine, einfache Regeln, die teils evolutionär vererbt, teils das Resultat unserer Erfahrungen sind. Sie helfen uns dabei, eine Entscheidung schnell zu fällen. Denn manchmal kann es schwierig sein, sich ein Urteil zu bilden – wer einen neuen Laptop, eine neue Waschmaschine oder ein neues Auto kaufen will, kennt das.
Mal haben wir keine Zeit, um uns eingehend mit Modellen zu beschäftigen. Oder die Sache ist schlichtweg kompliziert für uns, weil wir überhaupt keine Ahnung von Technik haben.
Kurzum: Wir treffen eine Entscheidung unter Unsicherheit. Und um in solchen Fällen zu einem Urteil zu kommen, wenden wir Heuristiken an. Sie sind in bestimmten Situationen also nützlich.
In anderen Situationen führen sie allerdings zu Fehleinschätzungen, sogenannte cognitive bias, zu Deutsch kognitive Verzerrungen.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Verzerrungen und Beeinflussung trüben unsere Intuition
- Ankerheuristik
Wenn Vereine oder NGOs Spenden sammeln, geben manche von ihnen bestimmte Beträge vor. Natürlich kann der Spender dann immer noch frei wählen, welche Summe er entrichten möchte. Dennoch fallen bei Organisationen, die höhere Beispielbeträge vorgeben, auch die Spendenaufkommen höher aus. Grund dafür ist der sogenannte Ankereffekt.
- Was man hat, das hat man
Ein Beispiel: "Wenn Sie überlegen, wie viel Sie für ein Haus bezahlen sollten, werden Sie von der ursprünglichen Preisforderung beeinflusst", sagt Kahneman. "Dasselbe Haus wird Ihnen wertvoller erscheinen, wenn sein Listenpreis höher ist, als wenn er niedrig ist – selbst wenn Sie entschlossen sind, sich nicht von dieser Zahl beeinflussen zu lassen."
Der Verkäufer des Hauses wiederum könnte einen so hohen Preis nicht nur festgesetzt haben, weil er den größten Nutzen herausschlagen will. Er war vielleicht auch vom Endowment-Effekt beeinflusst: Wir schreiben Dingen, die wir bereits besitzen, einen höheren Wert zu. Daher bieten manche Unternehmen auch die Möglichkeit an, Produkte zeitweise zu Hause zu testen: Sie machen sich damit den Endowment-Effekt zunutze.
- Die Angst, zu verlieren
Und noch eine Verzerrung kann bei der Entscheidung, ein getestetes Produkt zu behalten, eine Rolle spielen: die Verlustaversion. Wir verlieren Dinge nicht gerne.
Daher gewichten wir Verluste in der Regel stärker als gleich große Gewinne – und treffen häufig risikoscheue Entscheidungen. Das kann schon bei den kleinen Urteilen im Alltag eine Rolle spielen – zum Beispiel beim Wocheneinkauf.
Verbraucher, die daran erinnert werden, dass sie den Kauf eines neuen, unbekannten Produktes möglicherweise bereuen werden, greifen eher zu altbekannten Markenartikeln. Die No-Name-Produkte lassen sie dann im Regal stehen.
- Verfügbarkeitsheuristik
Stellen wir uns vor, dass wir heute von einer Stadt in die andere fahren wollen. Normalerweise würden wir den Zug nehmen – aber vor einer Woche ist ein schweres Unglück passiert. Obwohl wir die Strecke schon häufiger mit der Bahn gefahren sind und alles immer gut gegangen ist, wird uns nun plötzlich mulmig, wenn wir daran denken, in einen Zug zu steigen.
Das liegt daran, dass das kürzlich geschehene Unglück als Assoziation in System 1 schnell verfügbar ist. Es kommt uns also direkt in den Sinn, wenn wir am Fahrkartenschalter stehen. Und so beeinflusst es nun unseren Piloten, der nun die irrationale Entscheidung fällt, dass wir lieber ein Ticket für den langsameren Bus kaufen sollten – nicht, dass noch ein Unglück geschieht. Auch wenn unsere Erfahrung und die Wahrscheinlichkeit dagegensprechen.
Verfügbarkeit von Produkten
Die mentale Verfügbarkeit der Information wird also in die Entscheidung mit einbezogen. Das spielt auch für Unternehmen eine Rolle, wenn sie ihre Produkte bewerben. Wenn uns der Name eines Produkts mit "großer Leichtigkeit in den Sinn kommt", so der Psychologe Georg Felser, könne diese Leichtigkeit als Indiz gewertet werden – beispielsweise für Popularität, langjährige Bewährung oder eine hohe Verbreitung.
- Repräsentativitätsheuristik
Eine weitere Faustregel beschreibt, dass wir von wenigen Beobachtungen auf das große Ganze schließen. "Was aussieht wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, quakt wie eine Ente und auf dem Wasser schwimmt, wird wohl eine Ente sein", meint Felser.
Das lässt uns auch schnell von Prototypen auf die Allgemeinheit schließen: Was denkt man, wenn einem das Bild eines Professors mit weißen, leicht zerzausten Haaren vorgelegt wird? Lehrt er Philosophie oder BWL? Das Bild erfüllt eher unser Klischee vom Geisteswissenschaftler. Dass der Professor BWL unterrichtet, ist aber wahrscheinlicher – denn in der Disziplin gibt es schlichtweg mehr Lehrende.
Da liegt der Punkt: Zu misslungenen Urteilen kann die Heuristik vor allem dann führen, wenn wir andere wichtige Informationen wie Wahrscheinlichkeiten vollkommen vernachlässigen.
Noch ein Beispiel: Das eigene Business
Nehmen wir mal an, wir haben ein Restaurant eröffnet. Wie gut sind die Erfolgsaussichten für unser Unternehmen? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir schauen, wie hoch die Rate von Unternehmenspleiten ist – insbesondere die von Restaurants.
Laut Wirtschaftsnobelpreisträger Kahneman machen 60 Prozent aller neuen Gaststätten nach drei Jahren wieder zu. "In der Regel werden diese Raten unterschätzt", schreibt Psychologe Georg Felser. "Was freilich für die Motivation sicher eher günstig ist."
- Überoptimismus
Beim Unternehmerbeispiel kommt noch unser Hang zum Optimismus hinzu: "Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von negativen Ereignissen zu sein, wird geringer eingeschätzt als die Möglichkeit, Nutznießer positiver Ereignisse zu sein", sagt Thomas Döring, Professor für Politik in Darmstadt.
Für unsere Motivation, ein Business an den Start zu bringen, ist dieser Optimismus positiv. Er führt allerdings auch dazu,
- dass Chancen über- und Risiken unterbewertet werden
- dass "Worst Case“-Szenarien nicht erkannt werden
- dass Menschen sich in ihren positiven Eigenschaften über- und in ihren negativen Eigenschaften unterschätzen
"Eine andere Unternehmung, bei der die Grundrate des Scheiterns regelmäßig außer Acht gelassen wird, ist übrigens das Heiraten", fügt Psychologe Felser hinzu. Das zeige allerdings, dass Fehlurteile "psychologisch durchaus ihren Sinn haben können".
Die Beeinflussung unseres Autopiloten
Aber nicht nur Heuristiken und kognitive Verzerrungen führen zu irrationalen Entscheidungen. Unser Autopilot, das schnelle Denken, lässt sich ebenso mit simplen Mitteln beeinflussen. Stellen wir uns vor, wir stehen vor einem ellenlangen Regal im Supermarkt. Es ist voller Gemüsesorten. Wir wissen: Wir wollen Pilze.
Aber: Es stehen Champignons und Steinpilze in drei verschiedenen Größen von fünf verschiedenen Anbietern zur Auswahl. Und da gibt es dann auch noch zwei verschiedene Verpackungsarten. Was nun? Die Entscheidung für Pilze mag keine großartige sein, mit der wir uns lange aufhalten. Aber sie zeigt, dass wir mit Infos und Wahlmöglichkeiten überfrachtet werden. Da ist unser beeinflussbarer Autopilot gerne am Start.
Framing
Verbraucher greifen lieber zu einem Joghurt, der zu 80 Prozent fettfrei ist, als zu einem Joghurt, der einen Fettgehalt von 20 Prozent hat. Die Information an sich ist identisch – und dann auch wieder nicht: Denn wir werden davon beeinflusst, wie uns Entscheidungsgrundlagen präsentiert werden. Das bezeichnet man als Framing-Effekt.
Priming
Auch durch Priming kann unsere Entscheidung am Supermarkt-Regal beeinflusst werden. Und nicht nur die: Wir wissen heute, dass Priming-Effekte in jeden Bereich unseres Lebens hineinreichen, so Wirtschaftsnobelpreisträger Kahnemann. Beispielsweise
- wie wir andere Personen wahrnehmen und bewerten
- welche Ziele und Strategien wir gegenüber anderen Personen verfolgen
- wie unser Verständnis von politischen Entscheidungen aussieht
- wie wir uns als Konsumenten und Konsumentinnen verhalten
Der Begriff spielt daher mittlerweile in vielen wissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle.
Wie funktioniert Priming also?
Wir nehmen unbewusst Reize aus unserer Umgebung auf – beispielsweise Wörter oder Bilder. Diese wecken Assoziationen bei uns. Die wiederum beeinflussen dann unsere Entscheidung. Das nennt man Priming-Effekt. Ein Beispiel: Wenn im Supermarkt in der Weinabteilung französische Musik läuft, greifen wir eher zu einem französischen Wein als zu einem italienischen.
Noch effektiver wäre es vonseiten des Markts, ein Werbeplakat auf dem Weg zum Laden aufzustellen. Auch dadurch werden wir geprimt. Übrigens effektiver als durch die Fernsehwerbung am Abend, stellen Raab und Unger fest.
Nudging
Auch mit einem Nudge – einem "Anstupser" – können Menschen beeinflusst werden. Damit sie eine bestimmte Wahl treffen, werden sie praktisch in eine Richtung geschubst. Wer zum Beispiel bei einem Onlinehändler etwas bestellt, wird beim Check-out oftmals gefragt, ob er einen Newsletter abonnieren möchte. Manchmal ist das Häkchen dafür schon gesetzt. Das ist ein Nudge. Denn nun müsst ihr euch bewusst gegen den Newsletter entscheiden.
Aber: Ihr müsst die Wahl haben. Das ist wichtig beim Nudging: Der Ausstieg (Opt-out) muss möglich sein – wenn auch bewusst.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Es gibt Möglichkeiten, unser Verhalten zu ändern. Die sind aber nicht unumstritten
Das Ganze kann allerdings in erheblichen Anstrengungen münden, warnt Kahneman. "Diese Mühe ist nur dann gerechtfertigt, wenn viel auf dem Spiel steht und wenn es Ihnen besonders wichtig ist, keine Fehler zu machen."
Und dann gibt es da noch andere, die uns dabei helfen können, bessere Entscheidungen zu treffen. Das ist aber nicht unumstritten.
Wie mündig sind wir als Verbraucherinnen und Verbraucher?
Die Diskussion, wie mündig wir als Verbraucher sind, wird in vielerlei Hinsicht geführt. Die Deutschen sind zu dick, brauchen wir also eine Zuckersteuer? Und sollte ein Tierwohl-Label wirklich freiwillig für Produzenten sein – weil wir es sonst doch gar nicht schaffen, das "richtige" Produkt zu kaufen?
Hier erklären wir, wozu ein Tierwohl-Label gut wäre.
Wir sind in unserer "Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen, eingeschränkt", stellen Ökonom Enste und seine Kollegen fest. "Die Politik steht vor der Frage, welche Schlussfolgerungen sie aus dieser Tatsache ziehen und in welchem Maße sie aktiv werden will."
Welche Möglichkeiten gibt es also im Verbraucherschutz?
Signale für Kundinnen und Kunden
"Hersteller kennen die Eigenschaften ihrer Produkte in der Regel genau", schreiben die Forschenden vom IW Köln. "Konsumenten hingegen müssen oft viel Zeit und Mühe aufwenden, um diese in Erfahrung zu bringen – wenn es überhaupt gelingt."
Damit sind die Konsumenten im Informationsnachteil. "Im Extremfall kann es sogar passieren, dass Unkenntnisse durch Firmen gezielt ausgenutzt werden."
In einigen Branchen werden Produzenten daher zum Signaling verpflichtet: Der Kunde soll anhand von Signalen die Qualität der angebotenen Ware besser einschätzen können. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist so eine Maßnahme.
Es gibt auch freiwillige Signale – wie Label zur artgerechten Haltung oder Nachhaltigkeit. Produzenten nutzen sie, um dem Käufer die Qualität der Ware zu signalisieren. Bei größeren Objekten wie Staubsaugern können sie das auch tun, indem sie dem Käufer ein mehrjähriges Garantieversprechen einräumen.
Infos aufbereiten
Schaffen die Verbraucher selbst Infos heran, nennt man das Screening. Das tun wir alle, wenn wir Bewertungsportale im Internet durchstöbern. In manchen Fällen hilft das, in anderen Fällen ist man nach dem Lesen der Bewertungen genauso schlau wie vorher.
Daher werden Informationen auch standardisiert – etwa durch Ampelsysteme. Das kennt jeder vom Kühlschrankkauf, wenn er auf die Klassen zur Energieeffizienz schaut.
Das Problem ist, dass viele – vielleicht relevante – Informationen verloren gehen, wenn sie in so eine simple Ampelkennzeichnung gepresst werden. Für manche Produkte ist das Konzept daher umstritten, da es zu kurz greifen kann.
Ob der Nutri-Score für Lebensmittel hilft, diskutieren wir hier.
Nudging und die "guten" Ziele
Die Aufbereitung von Infos kann also schwierig sein. Zumal Verbraucher auch nicht immer die Möglichkeiten nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen: Infos zur Altersvorsorge können noch so gut aufbereitet sein – sie bringen mir nichts, wenn ich sie mir nicht anschaue, weil ich keinen Nerv auf das Thema habe.
In solchen Fällen können die Maßnahmen der Verbraucherpolitik, die auf den mündigen Konsumenten bauen, nicht wirksam werden, schreiben Enste und Kollegen. In solchen Fällen könnte die Entscheidungsfindung beeinflusst werden – durch Nudges. Denn Nudging kann nicht nur für Unternehmens-Newsletter genutzt werden. Es kann auch dazu beitragen, dass Konsumenten, Bürger, Unternehmen und Mitarbeiter eine gesündere, nachhaltigere, umweltfreundlichere oder finanziell attraktivere Verhaltensoption wählen.
Nudges für Organspenden, Altersvorsorge und Umwelt
Ein bekanntes Beispiel für Nudging ist das Thema Organspende: In vielen Ländern ist es Standard, dass jeder "automatisch" Organspender ist – außer er oder sie entscheidet sich explizit dagegen.
Auch die automatische Aufnahme eines Angestellten in die betriebliche Altersvorsorge ist ein Nudge: Der Arbeitnehmer ist dabei, solange er sich nicht explizit dagegen ausspricht.
Unsere nicht nachhaltigen Konsumgewohnheiten könnten durch Nudging ebenfalls aufgebrochen werden. "Durch kleine Anstupser und Veränderungen der Wahlarchitektur sollen ein nachhaltiger Konsum vereinfacht und Verhaltensroutinen verändert werden", sagen Ökonomin Reisch und Kollegen.
Ist Anstupsen ethisch vertretbar?
"In den falschen Händen können solche Regelungen natürlich überaus gefährlich sein", gibt Wirtschaftsjournalist Edmund Conway zu bedenken.
Er stellt die Frage, wo die "Fürsorgepflicht“ von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern oder Regierungen aufhört: "Wenn Menschen beim Sparen oder bei der Organspende falsche Entscheidungen treffen, könnten sie dann nicht auch in der Wahlkabine das Kreuz an der falschen Stelle machen?"
Auch Reisch und Kollegen meinen: "Ohne die beiden konstitutiven Kernelemente des Konzepts – freie Wahl und vollkommene Transparenz – wären Nudges nichts anderes als mehr oder weniger versteckte Regulierung." In manchen Fällen sogar Manipulation.
Doch auch wenn Nachvollziehbarkeit gegeben ist, wird festgelegt, was für den Verbraucher die "richtige" Entscheidung ist. Die Kritik der Bevormundung ist da nicht leicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite wäre manch einer wohl dankbar, wenn er zu einer sinnvollen Entscheidung gestupst wird.
Priming und die "guten" Ziele
Was hier fürs Nudging gilt, gilt auch fürs Priming: Wir können "positiv" beeinflusst werden.
Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler und sein Kollege Cass Sunstein geben ein einfaches Beispiel: Schon der Geruch von Allzweckreiniger in einer Kantine kann dazu führen, dass die Tische sauberer gehalten werden.
Ein Hoch auf unsere beiden Piloten
Unsere Urteile sind also nicht so rational und fehlerfrei, wie wir vielleicht gerne glauben. Wir haben einige Fälle gesehen, in denen es sich bestimmt lohnt, über den ersten Impuls noch einmal bewusst nachzudenken – den Piloten also einzuschalten.
Und in den anderen Fällen können wir einfach froh sein, dass wir unseren Autopiloten haben – der uns in unserem reizüberfluteten Alltag mit seiner schnellen und effizienten Arbeit vor Überforderung bewahrt.
Autorin: Claudia Wiggenbröker
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Artikel Überschrift:
Gedanken an morgen aber mit Taten ist nicht so schwer, wenn man das ein bisschen organisiert. Ich weiß natürlich, dass es Länder gibt, wo die Bedingungen so schlimm sind, dass man von dort nichts kaufen sollte, um nicht Geld dorthin zu bringen, das die dann verwenden würden um, was immer… Weiterlesen »