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Ernährung
Darum sind viele Säure-Basen-Kuren Quatsch
Onlineratgeber warnen häufig vor einer Übersäuerung durch falsche Ernährung. Da ist zwar was dran, viele Empfehlungen dazu sind aber Unsinn.
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Ernährungsratgeber warnen vor einer „Übersäuerung“ des Körpers
Zahlreiche Ernährungsratgeber warnen davor, dass viele Menschen in Europa zu viele säurebildende Lebensmittel konsumieren. Wer das tue, laufe Gefahr, sein Säure-Basen-Gleichgewicht zu stören. Die Folge sei eine "latente Acidose", auch versteckte Übersäuerung genannt. Diese könne man unter anderem an abweichenden Blut-pH-Werten erkennen – normalerweise liegt das Blut im leicht basischen Bereich, bei etwa 7,4.
Die Folgen der "latenten Acidose" sollen den ganzen Körper betreffen
Die Theorie, die viele Ernährungsratgeber verbreiten, ist einfach: Nehmen wir zu viele säurebildende Lebensmittel zu uns – also solche, bei deren Verdauung im Körper Säuren entstehen –, muss der Körper mehr arbeiten, um den Säureüberschuss auszugleichen.
Das könne unangenehme Folgen haben: Betroffene seien müder als sonst, erschöpft, empfindlicher für Stress, litten häufiger an Muskel- und Gelenkbeschwerden und auch die Knochen könnten Schaden nehmen. Manchen Quellen zufolge lagern sich solche Säuren in neutralisierter Form als sogenannte "Schlacken" im Körper ab – ein Prozess, der Gicht hervorrufen könne.
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Darum müssen wir drüber sprechen:
Mit Halbwahrheiten sollen Gegenmittel verkauft werden
In Form von Ernährungsplänen oder Nahrungsergänzungsmitteln werden Basenkuren verkauft, die den Körper in wenigen Monaten "entschlacken". Sogar basische Socken, Decken und Funktionswäsche sollen gegen die drohende Übersäuerung helfen.
Die meisten Menschen kommen mit der täglichen Säurelast sehr gut zurecht
Wie sauer oder basisch eine Körperflüssigkeit ist, lässt sich über den pH-Wert mit einer Skala von 0 bis 14 messen: je niedriger, desto saurer. Der Bereich um 7 ist neutral und Werte über 7 bis 14 zeigen, wie basisch eine Lösung ist. In den verschiedenen Organen des Körpers müssen unterschiedliche pH-Werte herrschen, damit sie richtig funktionieren können. Beispielsweise ist es im Mageninneren sehr sauer, da es Säuren sind, die Nahrung zerteilten.
Das Blut und auch die Flüssigkeiten des Nervensystems sollten dagegen leicht basisch sein – nur so kann etwa die Übertragung von Reizen zwischen den Nerven richtig funktionieren. Damit das klappt, arbeitet ein Puffersystem zu jeder Zeit, um den Überschuss von H+-Protonen, den Säuren typischerweise erzeugen, auszugleichen. Auch andersherum steuert der Körper gegen, wenn es zu basisch ist.
Mit saurem Aufstoßen, das viele Menschen erleben, wenn sie beispielsweise viel Alkohol getrunken oder bestimmte Lebensmittel gegessen haben, hat die Wirkung von säuren- oder basenbildenden Lebensmitteln wenig zu tun. Das liegt daran, dass Lebensmittel unterschiedlich wirken können, wenn sie im Körper verarbeitet werden. So kann saurer Zitronensaft zwar im Magen Sodbrennen fördern – wenn er verarbeitet wurde, hat er aber eher eine basische Wirkung.
Acidosen werden normalerweise durch Vorerkrankungen ausgelöst
Anders als viele Ratgeber behaupten, schaffen es die Puffersysteme von gesunden Menschen, stets sehr große Mengen an Säuren auszugleichen oder auszuscheiden – häufig über die Lunge in Form von CO2 oder über den Urin. Eine Übersäuerung, oder Acidose, droht normalerweise nur Menschen, die schon Probleme mit dem Stoffwechsel haben, also beispielsweise eine chronische Nierenerkrankung haben oder an Diabetes leiden. In so einem Fall kann der pH-Wert im Blut unter 7,35 sinken, was zu schwächelnden Muskeln, Wahrnehmungsstörungen und sogar zu lebensbedrohlichen Herzproblemen führen kann.
Für die Wirkung vieler Diäten und Kuren gib es keine Beweise
Die Medizinerin Roswitha Siener hat im Magazin "Ernährungs Umschau" eine Einschätzung zu einigen der propagierten Empfehlungen veröffentlicht. Darin schreibt sie: "Die in der Trennkost propagierte Trennung von protein- und kohlenhydratreichen Lebensmitteln in einer Mahlzeit ist wissenschaftlich nicht begründbar." Gleiches gelte für die "entschlackende" und "entgiftende" Wirkung verschiedener Fastenmethoden, wie etwa dem Basen- oder Heilfasten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät von einem kompletten Verzicht auf säurebildende Lebensmittel ab: Es fehlten wissenschaftliche Beweise für eine Wirkung des Basenfastens, heißt es in einer Einschätzung. "Weil lebenswichtige Nährstoffe auf Dauer in zu geringen Mengen zugeführt werden könnten, rät die DGE von langfristigem Basenfasten ab."
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Es könnte sinnvoll sein, ein Säure-Basen-Gleichgewicht zu halten
Warum du nicht jeder Ernährungsstudie glauben solltest, erklären wir hier.
"Wir haben sehr detaillierte Daten von gesunden Kindern, die recht deutlich einen Zusammenhang zwischen einer säurelastigen Ernährung und verschiedenen Messgrößen der Knochenstabilität erkennen lassen", sagt der Ernährungswissenschaftler Thomas Remer dazu: "Verschiedene Faktoren spielen hier eine Rolle. Einer davon ist sehr wahrscheinlich ein erhöhter Cortisolspiegel durch eine säuernde Ernährung. In welchem Ausmaß weitere Faktoren eine Rolle spielen, darüber können wir bisher nur spekulieren." Endgültige Beweise durch lange andauernde Interventionsstudien gebe es jedoch nicht.
Remer untersucht gemeinsam mit seinem Team von der Universität Bonn in der groß angelegten DONALD-Studie, wie sich die Ernährung auf die Entwicklung von Probanden und Probandinnen über Jahrzehnte hinweg auswirkt. Ein Schwerpunkt dabei sind die Langzeiteffekte des Säure-Basen-Haushalts. In mehreren Untersuchungen fand er immer wieder Hinweise für einen Zusammenhang von säurebildenden Ernährungsweisen mit unterschiedlichen Gesundheitsproblemen. So zum Beispiel auch für das Risiko von Nierensteinen, erhöhten Blutdruckwerten oder Gicht.
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Und jetzt?
Wer sich ausgewogen ernährt, braucht keine Basenkur
Dennoch gibt es Hinweise dafür, dass eine überwiegend säurebildende Ernährung den Körper auf Dauer belasten kann – vermutet werden Effekte auf das Herz-Kreislauf-System und auf die Knochengesundheit. Dass Menschen von säuernden Lebensmitteln müder als sonst, erschöpft und empfindlicher für Stress werden, lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht hingegen nicht bestätigen.
Wer anstatt des Hühnerfilets ein paar Nüsse isst und sich anstatt einer Milch einen Gemüsesmoothie genehmigt, kann sich also sicher sein, dass er seinem Körper etwas Gutes tut: "Es gibt genug Untersuchungen, die dafür sprechen, dass uns eine obst- und gemüsereiche Ernährung besser bekommt als eine, die vor allem aus Fleischprodukten und Ähnlichem besteht", sagt Thomas Remer. Dafür seien aber natürlich mehr Faktoren als das Gleichgewicht von Säuren und Basen verantwortlich. Eine Kur mit basischen Nahrungsergänzungsmitteln sei für die meisten Menschen, die sich ausgewogen ernähren, daher nicht nötig. Gleiches gilt für Entschlackungskuren, da es für die Existenz von Schlacken keine Beweise gibt.
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Fettleibigkeit resultiert aus einer Übersäuerung des Körpers. Bei der zunehmenden Menge an Übergewichtigen sollte man das also nicht einfach so abtun.
Das Fazit deckt sich sehr mit meiner Meinung zur Ernährung. Ich denke, dass es wahrscheinlich ne Menge andere Faktoren gibt, warum „säurebildende Ernährung“ ungesund ist. Meinem Eindruck nach essen Menschen, die diese Art von Lebensmitteln wählen aus anderen Gründen eher ungesund, die nichts mit dem Säure-Basen-Haushalt zu tun haben. Nämlich… Weiterlesen »
Am besten macht da jeder seine eigenen Erfahrungen 🙂 Ich kenne wirklich viele Menschen die mit einer basenkur oder Darmentgiftung Beschwerden heilen konnten die die Schulmedizin nicht heilen konnte. Bei mir ist es das basische baden was ich zuhause mache. Es geht mir nach ein paar Anwendungen sehr viel besser,… Weiterlesen »
Nö, fängt ja schon damit an, dass irgendwelche „Darmentgiftungen“ in den Raum geworfen werden – was soll das denn bitte sein? „Schulmedizin“ ist ein Kampfbegriff aus der NS-Zeit: https://www.derstandard.at/story/2000109455158/wie-viel-nazi-ideologie-steckt-im-begriff-schulmedizin Gegen eine gesunde Ernährung hat keiner was, nur das Propagieren von diesem esoterischen Quatsch, der noch zur Mangelernährung führen kann, das… Weiterlesen »
Danke liebe Mila. Diesen Kommentar habe ich gesucht. Wir machen Basenbäder im Thüringer Wald und die Leute steigen jedes Mal happy aus der Badewanne heraus.
Danke für den Beitrag ist wirklich sehr gelungen 🙂 wäre schön, wenn es bekannter wäre, dann könnten ein paar „Pseudo“Gesundheitsfirmen wahrscheinlich zu machen 😀
Welche Auswirkung hat eine Übersäuerung auf den Elektrolyt- Haushalt?
Kann eine Übersäuerung die Schilddrüse beeinflussen? E.g. Jodmangel, Aufnahme von T3, T4 Hormonen, etc.
Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.
Eine „Übersäuerung“ findet doch gar nicht statt, das haben wir doch dargelegt.